© Gordelik . Iris Gordelik, Gordelik Executive Search & Networking

Die echten Fuffziger.

Einer meiner Lieblingskunden, nennen wir ihn Herr Liebmann, sagte letztens zu mir: „Der Kandidat ist ja schon älter, aber ich liebe einfach diesen anderen Blick auf Sachen und wir werden dadurch besser.“ Das Durchschnittsalter in dieser Firma liegt bei etwa 35 Jahren.

Am Abend ruft mich dann jemand an, nennen wir ihn Herr Sorgmann, und erzählt mir, dass seine Firma restrukturiert und er Ende des Jahres arbeitslos sein wird. Er beendet seine Ausführungen mit den Worten: „Ich kann mir ja vorstellen, dass es in meinem Alter schon schwieriger werden wird.“ Herr Sorgmann ist 57. Nebenbei, genauso alt wie ich.

Nun kann ich aus meiner Praxis als Personalberaterin und zusätzlich aus meiner ganz persönlichen Sicht einer 57-Jährigen ganz deutlich sagen, dass es mitnichten aufgrund des Alters schwieriger wird. Wer fit in Kopf und Körper ist, seinen Beruf liebt und gut darin ist, hat keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Und auch seitens der Arbeitgeber ist mein Lieblingskunde kein Einzelfall.

Wer fit in Kopf und Körper ist,
seinen Beruf liebt und gut darin ist,
hat keinen Grund, sich Sorgen zu machen.

Aber damit würden wir es uns zu einfach machen. Tatsachen nur häufig und laut zu wiederholen, macht es für Herrn Sorgmann nicht besser. „Ach ja“, sagt Herr Sorgmann. Aber ich spüre, dass er selbst daran nicht glaubt. Wer könnte ihn nicht verstehen? Die aktuelle Coronakrise kommt noch dazu. Es ist wohl im Markt bekannt, wie viele Unternehmen dieses Virus zum Anlass nehmen, jetzt aufzuräumen. Ob berechtigt oder nicht, sei mal dahingestellt. Das hilft Herrn Sorgmann auch nicht weiter. Tatsache ist, es stehen eine Reihe Manager und Managerinnen ohne Job da. Auch sehr viele jüngere. Also Alter plus Wettbewerb – das ist eine ganz üble Ausgangssituation, denkt sich Herr Sorgmann.


Mit Mitte 50 oder 60 vor der Situation zu stehen, sich noch einmal neu aufstellen zu müssen, ist komplett anders als mit 30 oder mit 45. Hier geht es für die meisten um die letzten fünf oder zehn Berufsjahre. Das ist eher Ernte- als Aufbauzeit. Dann liest man Stellenanzeigen, in denen viel steht, was man nicht kann. Technologie oder KI (künstliche Intelligenz), CX (Customer Experience) oder Digitales. Viele fühlen sich in der Situation nutzlos und denken: „Was kann ich denn schon, was die Welt im Customer Management jetzt braucht?“

Aber sie können eine ganze Menge! Sie sind sich dessen nur nicht bewusst, weil es für sie so selbstverständlich ist. So wie es einem Texter ein Rätsel ist, dass nicht jeder gerade Sätze schreiben kann. Immerhin haben wir doch alle in der Schule schreiben gelernt.

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Schauen wir doch einmal, was Menschen in der Erntezeit, ich nenne sie die echten Fuffziger, alles können. An dieser Stelle möchte ich gleich einwerfen, dass es selbstverständlich auch Fuffziger gibt, die in einer Aufbauzeit sind. Aber um die geht es hier nicht.

Also. Ernten ist Freude und Ruhe. Eine Ruhe, die Teams sehr gut gebrauchen können. Freude und Selbstsicherheit. Ein Zustand, der für Karriere-Aufbauende höchst erstrebenswert ist. Mentoring by working – wie wunderbar! Und all inclusive.

Außerdem kann der echte Fuffziger hellsehen. Und muss am Ende noch nicht einmal Recht behalten. Wer schon viele Pferde hat kotzen sehen, nimmt vieles mit Humor. Das Drama von heute wird nicht heiß gegessen, weil man gelernt hat, perspektivisch zu denken und gute Erfahrungen damit gemacht hat, über Bande zu spielen. Angriffe gleiten besser ab, wenn kein Hormon aufbegehrt.

Führungsversagen ist durch Erfahrung und Menschenkenntnis, die sich der Fuffziger über die Jahre angeeignet hat, schnell entlarvt.

Ja, und wie toll, dass jemand im Team die Deppen so schnell entlarvt! Geht irgendwie auch einfacher, wenn es nicht nach Ellbogentaktik aussieht. Konstruktiv streiten ist wohl eine der größten Gaben der Fuffziger. Da wurde so viel Geld in die Wir-Kultur gesteckt, dass am Ende aus falsch verstandenem Wir-Gefühl niemand mehr den Mund aufmacht. Hach, was können Fuffziger respektvoll, konstruktiv, lustvoll, einfach toll streiten! Statt Geld ins Teambuilding-Seminar zu stecken, lieber einen Fuffziger ins Team holen, der wertschätzend und effektiv moderiert.


Und welch Schatz in diesen Konflikten geborgen wird! Viele Meinungen sind ja echt viele Ideen. Und, wow, es geht ja gar nicht darum, dass ich gewinne oder gewinnen lasse. Es geht ja um Ideen für unsere Firma. Was für eine neue Perspektive! Und am Ende haben wir doch alle gewonnen.

Mein Fazit: Teams, in denen Ältere und Jüngere zusammenarbeiten, sind absolut zu empfehlen. Ebenso wie he/she oder Multikulti. Alle dies lesenden Firmenchefs muss ich jedoch warnen: Das ist nur etwas für gut geführte Unternehmen. Denn Führungsversagen ist durch Erfahrung und Menschenkenntnis, die sich der Fuffziger über die Jahre angeeignet hat, schnell entlarvt. Und keinen Sinn in einer Aufgabe zu sehen, lässt Fuffziger weiterreisen. Sie wissen nämlich, was sie können und wert sind.

Autor: Iris Gordelik

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