Intre-Interview mit Dr. Ferri Abolhassan, Service-Chef Telekom Deutschland, über sein neues Buch „Superkraft Mensch“ und begeisternde Kundenerlebnisse
Intre: Herr Dr. Abolhassan, Sie haben in Ihrer Managementkarriere schon ein Dutzend Bücher herausgegeben. Dabei ging’s stets um Technik. In Ihrem neuen Buch steht erstmals der Mensch im Mittelpunkt. Woher kommt dieser Wandel?
F. Abolhassan: Das stimmt, dieses Bookazine ist für mich eine echte Premiere! 6 In meinen bisherigen Fachbüchern drehte sich alles um digitale Technologien und ihr Potenzial, die Welt zu verändern. Daran glaube ich als ehemaliger IT-Chef noch immer. Aber seit ich den Service der Telekom Deutschland leite, habe ich eine neue Superkraft für mich entdeckt: den Menschen. Im Servicealltag mit meinen rund 30.000 Kolleginnen und Kollegen und unseren 60 Millionen Kunden erlebe ich immer wieder Situationen, in denen ein Lächeln locker hundert Computer schlägt. Augenblicke, in denen selbst eine noch so weit entwickelte künstliche Intelligenz nicht das leisten kann, was der Mensch mit seiner natürlichen Intelligenz schafft. Klar, Kunden clustern kann auch die Maschine. Aber Zwischentöne hören, Empathie zeigen, kreative Lösungen finden, dem Kunden das Gefühl geben, es kümmert sich jemand, das alles kann nur der Mensch. Er macht im Service den Unterschied!
Die Anrufe der Kunden wurden zentral gemanagt, alles musste möglichst schnell gehen – nach dem Motto: „Zeit ist Geld“.
Intre: Solche Servicemomente haben Sie in Ihrer Kindheit selbst erlebt, schreiben Sie in Ihrem Kapitel …
F. Abolhassan: Ja, das sind auch sehr schöne Erinnerungen. Kennen Sie noch die TV-Werbung mit dem kleinen Michael, der bei Frau Lange immer seine Storck-Riesen kauft? So ähnlich war’s auch bei mir: Als Knirps war ich Stammkunde in einem Tante-Emma-Laden bei uns in Saarbrücken. Und ich war dort gerne Kunde! Nicht nur wegen der vielen Süßigkeiten, sondern auch, weil meine Frau Lange für Groß und Klein stets ein freundliches Wort hatte. Sie kannte jeden Kunden und dessen Vorlieben ganz genau. Sie war zu jedermann hilfsbereit und zuvorkommend nicht aus Pflichterfüllung, sondern aus Überzeugung. Das konnte man spüren. Und häufig gab’s zum Einkauf noch ein kleines Extra kostenlos obendrauf. Damals war der Kunde noch König.
Intre: Sie sagen damals. Ist er das denn heute nicht mehr?
F. Abolhassan: Ende der 1970er-Jahre begann die Call Center-Ära. Plötzlich drehte sich alles nur noch um Kosteneffizienz. Die Anrufe der Kunden wurden zentral gemanagt, alles musste möglichst schnell gehen – nach dem Motto: „Zeit ist Geld“. Auf die Qualifizierung und Weiterbildung der Agents legte man keinen großen Wert. So wurde der Mensch mehr und mehr aus den Augen verloren: der Kunde mit seinen jeweiligen Bedürfnissen und der Mitarbeiter mit seinen individuellen Fähigkeiten. Und ein begeisternder Service blieb so zunehmend auf der Strecke. Damit war unsere Branche – wie alle anderen übrigens auch – auf dem Holzweg! Darum haben wir vor drei Jahren begonnen, den Service der Deutschen Telekom neu zu erfinden und die Dinge einfach anders zu machen.
Intre: Für diese Transformation, das Einfach-Anders- Machen, haben Sie eigens eine Serviceformel entwickelt. Was hat es damit auf sich?
F. Abolhassan: Als wir gestartet sind, haben wir die Messlatte bewusst sehr hoch gelegt – wir haben uns vorgenommen, unseren Kunden in Deutschland einen tadellosen Service zu bieten. Bei 100 Millionen Kontakten im Jahr ist das eine echte Herkulesaufgabe. Also haben wir uns gefragt: Was brauchen wir, um unsere hohen Ansprüche zu erfüllen? Dafür braucht es zum einen großen Mut, viel Leidenschaft und einen langen Atem. Zum anderen aber auch die richtige Strategie. Darum haben wir unsere ganz eigene Serviceformel entwickelt, die sich aber auch auf andere Branchen problemlos übertragen lässt. Unsere – auf den ersten Blick sehr einfache – Gleichung lautet: Nur die besten Mitarbeiter plus die beste IT, unterstützt durch die beste Transformation, ergeben unterm Strich die beste Kundenzufriedenheit. Und erst daraus resultiert – das war der Denkfehler der Call Center-Ära – die beste Effizienz. Denn zufriedene Kunden müssen kein zweites oder drittes Mal wegen des gleichen Anliegens anrufen. Bei zufriedenen Kunden muss unser Außendienst kein zweites oder drittes Mal raus zum Kunden fahren. Das spart enorm viel Zeit und Aufwand. Und am Ende des Tages profitieren alle gleichermaßen: die Kunden, die Mitarbeiter, das Unternehmen.
Wir haben die Beschwerden in der ersten Phase unserer Transformation bereits um über 75 Prozent gesenkt, die Pünktlichkeit unserer Techniker auf 99 Prozent erhöht und mehr als die Hälfte aller Kundenanliegen lösen wir bereits im ersten Kontakt.
Intre: Soweit die Theorie. Wie sieht das in der Praxis aus? Geht Ihre Formel auf ?
F. Abolhassan: Ja, das tut sie: Wir haben die Beschwerden in der ersten Phase unserer Transformation bereits um über 75 Prozent gesenkt, die Pünktlichkeit unserer Techniker auf 99 Prozent erhöht und mehr als die Hälfte aller Kundenanliegen lösen wir bereits im ersten Kontakt. Das sind messbare Verbesserungen, die unseren Kunden zugutekommen. Aber nicht nur unsere eigenen KPIs (Key Performance Indicators) zeigen, dass unsere Formel aufgeht. Auch unabhängige Experten wie der TÜV und Fachredaktionen wie die connect oder Chip bestätigen uns immer wieder, dass wir schon große Fortschritte gemacht haben. Aber ich sage auch: Bester Service ist kein Sprint, sondern ein Marathon! Wir sind noch nicht am Ziel, für uns zählt jeder Kunde. Darum haben wir Mitte September mit „Re-Invent“ die zweite Phase unserer Transformation eingeläutet. Wir wollen uns mit noch mehr Fachlichkeit, noch größerer Nähe zum Kunden und noch schlankeren Prozessen weiter verbessern.
Intre: In Ihrer Serviceformel kommt der Mensch an erster Stelle. Zufall oder Absicht?
F. Abolhassan: Das ist kein Zufall, das haben wir uns wohl überlegt. Denn wie ich eingangs sagte, macht der Mensch im Service den Unterschied. Keine Frage: Digitale Lösungen wie Bots, Apps und Co. sind heute unverzichtbar, um die Erwartungen unserer Kunden an einen schnellen 24/7-Service zu erfüllen und Mengen aus dem System zu nehmen. Aber in den entscheidenden Momenten schaffen nur Menschen wirklich begeisternde Kundenerlebnisse. Sie sind mit Abstand das wichtigste Asset, das wir im Service haben. Darum kommen die Menschen in unserer Formel ganz bewusst an erster Stelle und deswegen stellen wir sie in unserem Bookazine konsequent in den Mittelpunkt.
Intre: Ist das das verbindende Element in Ihrem Buch? Ihre Co-Autoren haben ja unterschiedliche Hintergründe und kommen aus diversen Bereichen.
F. Abolhassan: Absolut! Wir haben 16 renommierte Experten eingeladen, die Rolle des Menschen im Service aus ihrer ganz persönlichen Perspektive zu beleuchten. Es freut mich sehr, dass auch Intre-Herausgeber Georg Mack ein Kapitel beigesteuert hat. Danke dafür! Daneben sind unter anderem der amerikanische Service-Guru Shep Hyken, Professor Antonio Krüger, Ceo des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, und mein Ex-Kollege Martin Seiler, inzwischen Personalchef der Deutschen Bahn und gerade erst zum Personaler des Jahres gewählt worden, dabei. Ich finde, unser Buch ist ein spannender Mix aus Meinungen und Formaten geworden. Was aber alle Mitwirkenden eint – trotz ihrer unterschiedlichen Hintergründe und Ansichten – ist die uneingeschränkte Würdigung der Superkraft Mensch. Und das freut mich extrem! Denn die ist aus meiner Sicht viel zu lange vernachlässigt worden.
Denn unsere Themen werden zunehmend komplexer und die Erwartungen der Kunden an uns steigen.
Intre: Schauen wir in Zukunft: Was planen Sie als nächstes?
F. Abolhassan: Nach dem Buch ist vor dem Buch! S Wir bereiten bereits die Fortsetzung vor. Darin wird es schwerpunktmäßig um das Thema Coaching und Lernen gehen. Denn Wissen ist Macht, wir brauchen eine neue Fachlichkeit im Service. In Band 1 haben wir festgestellt, dass der Mensch die Superkraft ist, die im Service den Unterschied macht. In Band 2 wollen wir erklären, wie man diese Superkräfte weckt, wie man die Menschen dabei unterstützt, ihr individuelles Potenzial voll zu entfalten, wie sie ihre Fachlichkeit, ihr Wissen, aber auch ihre Soft Skills erfolgreich weiterentwickeln können, um eben begeisternde Kundenmomente zu kreieren.
Intre: Das klingt sehr spannend! Wir sind schon gespannt auf diese Fortsetzung. Und fachlich, wie geht’s da weiter?
F. Abolhassan: Mit „Re-Invent“ gehen wir die Dinge in den nächsten Monaten und Jahren nochmal deutlich radikaler an. Das bedeutet nicht, dass wir jetzt alles auf den Kopf stellen, was wir bisher erreicht haben. Im Gegenteil: Das Fundament ist gelegt! Wir wollen es für unsere Kunden noch öfter richtig machen – möglichst schon im ersten Kontakt. Dafür brauchen wir eine fitte Mannschaft, die gut gerüstet ist. Denn unsere Themen werden zunehmend komplexer und die Erwartungen der Kunden an uns steigen. Mein Lieblingsbeispiel: das Heimnetzwerk. Es ist die Basis jedes vernetzten Zuhauses. Doch mit zunehmender Digitalisierung steigt auch die Komplexität der Heimvernetzung. Darum werden wir verstärkt in die Fachlichkeit unserer Mitarbeiter investieren, sie noch intensiver coachen. Außerdem geben wir ihnen die Freiräume, die sie benötigen, um sich eigenständig weiterzubilden. Denn im Service geht es nun einmal nicht nur darum, helfen zu wollen, sondern auch darum, helfen zu können. Und hieran müssen wir permanent arbeiten.
Autor: -RED.