Henning Ahlert_Geschäftsführer, Junokai

Falsche Prioritäten in der Krise.

Die Zeit, die sich bietet, sollte genutzt werden, um an Kundenservicesystemen zu arbeiten. Denn in der Krise zeigt sich, dass ein Umdenken längst stattfinden hätte sollen.

work@home fristete über Jahre ein Schattendasein im Contact Center-Umfeld. Trotz ausgereifter und erprobter technischer und organisatorischer Betriebsmodelle hielten Firmen viele Ausreden bereit, warum das Thema im eigenen Unternehmen nicht funktionieren kann oder soll: rechtliche Hürden, Datenschutz, arbeitsvertragliche Modalitäten oder Steuerungshilflosigkeiten waren nur einige Aspekte, die eine Diskussion rund um dieses Thema in der Vergangenheit begleitet haben.
Und plötzlich, Mitte März im Zuge der Corona Einschränkungen, wurden IT-Abteilungen von Vorständen und Geschäftsführungen ermächtigt, ganze Abteilungen inklusive dem Contact Center in die Lage zu versetzen, von zu Hause zu arbeiten. Das ging meistens innerhalb von einer Woche und eine Arbeitsfähigkeit wurde nicht infrage gestellt. Hauptsache der Kunde konnte bedient werden.

Was jedoch wird mit den grundsätzlichen Themen, die zu Recht von Kritikern bei der Diskussion um das Homeoffice immer wieder adressiert werden? Rechtliche Hürden, Datenschutz, arbeitsvertragliche Modalitäten und Steuerungslogiken müssen gelöst und geordnet werden, um künftig weiterhin im Regelgeschäft oder in neuen bzw. anhaltenden Krisen die Arbeit von zu Hause auch für Contact Center-Mitarbeiter solide und rechtssicher zu organisieren. Hand aufs Herz: Wer von Ihnen hat damit in den vergangenen Wochen bereits begonnen und wer hat sich ausschließlich auf das Bekämpfen aktueller Problematiken wie explodierendem oder einbrechendem Kontaktvolumen konzentriert?

 

Im Fokus: Kundenservice
Ähnlich verhält es sich nach wie vor mit der organisatorischen Entwicklung von Kundenserviceeinheiten. Hartnäckig erfreut sich die fabrikähnliche Produktion mit hierarchischer Arbeitsorganisation aus Agenten, Teamleitern, Supervisoren und Standortleitern großer Beliebtheit. Ein paar Mitarbeiter, die die Arbeit planen, organisieren und steuern, diese auswerten und hier und da für Schulung und Qualitätsverbesserungen sorgen, dürfen in dieser Fabrik natürlich nicht fehlen – Steuerungslogiken nach Produktivität oder möglichst geringen Kosten pro Zeit- oder Kontakteinheit inklusive. Gleichzeitig will jeder im Kundenservice mitreden bei Themen wie Roboterisierung, Digitalisierung, Kontaktreduzierung und Selfservices – und doch ist und bleibt es weitgehend Stückwerk. Es fehlen nach wie vor Experten in den Kundenserviceorganisationen (Customer Service Engineers), die diese innovativen Themen nicht als Insellösungen implementieren, sondern die, geleitet durch eine gesamtheitliche Transformationsstrategie, den Kundenservice in den eigenen Unternehmen schrittweise entlang der Bedürfnisse der Kunden und der inzwischen ausgereift zur Verfügung stehenden technologischen Möglichkeiten entwickeln.
Wie am Beispiel des work@home machen sich noch immer viel zu wenige Serviceverantwortliche die Mühe, die eigene Organisation schrittweise zu transformieren, um künftig nicht nur Kundenanfragen im System reaktiv zu beantworten, sondern proaktiv durch Arbeit am System den Kundenservice auf ein Niveau zu entwickeln, das den Anforderungen an eine moderne Distanzkommunikation entspricht und über verschiedene Kanäle und Interaktionsebenen, von automatisiert bis persönlich, verfügt.

 

Die Frage ist, warum das in der Realität nicht zügiger geschieht.
Wir sind überzeugt, dass diese Transformation nicht von heute auf morgen umgesetzt und abgeschlossen werden kann. Alles benötigt seine Zeit. Neue Berufsbilder müssen sich entwickeln und bis dahin müssen die Servicebereiche von Unternehmen diese Aufgaben- und Tätigkeitsschwerpunkte für die Customer Service Engineers zunächst selbst definieren. Wer allerdings damit nicht beginnt, wird innovative, IT-gestützte Themen auch weiterhin nur als Insellösungen implementieren und das ohne den Aufbau von eigenem Wissen und Know-how, um die Themen auch dauerhaft weiterzuentwickeln. Die Gefahr von Eintagsfliegen und teuren Rohrkrepierern ist groß.
Wie beim Thema work@home wird der Tag kommen, an dem zwangsläufig ein Umdenken stattfinden wird. Die Engpässe sind systemimmanent und offensichtlich. Zu groß wird die Knappheit an geeignetem Servicepersonal werden (was eigentlich heute bereits in Deutschland der Fall ist), das zu sehr hohen Kosten alle Kundenanliegen persönlich bearbeitet. Zu offensichtlich wird die Eignung neuer Technologien auch von Laien gefordert werden, innerhalb und außerhalb des eigenen Unternehmens. Schlecht für diejenigen, die die Signale ignoriert haben.
Daher lohnt sich die Beschäftigung mit der Arbeit am Kundenservice der Zukunft bereits heute, sie hätte gestern schon beginnen müssen. Wer zu lange wartet, riskiert den Erfolg des eigenen Unternehmens und einmal mehr die Reputation des Kundenservice an sich. Nutzen Sie die Zeit, die sich Ihnen bietet, um am System Ihres Kundenservice zu arbeiten. Im System selbst ist der entscheidende Unterschied allein nicht zu machen.

AUTOR: Henning Ahlert, Geschäftsführender Gesellschafter junokai GmbH, http://www.junokai.de

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