© Gordelik . Iris Gordelik, Gordelik Executive Search & Networking

Homeoffice – Gekommen, um zu bleiben.

Die Zeit tituliert einen Artikel im Dezember 2020 mit „Corona-Impfstoff – So bedeutend wie die Mondlandung.“ Eine epochale wissenschaftliche Leistung. Die Pandemie selbst hat ebenfalls ihren Platz in den Geschichtsbüchern sicher. Als historische Zäsur.


Einige Historiker halten es für wahrscheinlich, dass wir gerade eine zeitgeschichtliche Epoche von circa 1970 bis 2020 abschließen, die von Globalisierung geprägt war. Damit stehen wir hier und jetzt am Anfang einer neuen Epoche, die für gesellschaftliche Selbstbestimmung steht.
Das Recht eines Einzelnen, die eigenen Angelegenheiten frei und eigenverantwortlich zu gestalten. Was zu Beginn mit Homeoffice als Begriff eines Arbeitsmodells beschrieben wurde, wird zum Grundverständnis für unsere Lebensumstände. In einer Arbeitswelt, die von Freiheit und Flexibilität geprägt ist, werden wir den Begriff Homeoffice nicht einmal mehr benötigen.

Der Wandel unserer Arbeitskultur hatte schon leise vor Covid-19 begonnen. Doch der unumkehrbare Umbruch begann im März 2020, als auf der ganzen Welt und damit auch in Deutschland, Österreich und in der Schweiz der Quarantäne-Modus die Krise einläutete. Wir hatten in unserer Personalberatung das große Glück, dass nicht alle Suchaufträge gestoppt wurden. Also machten wir uns weiter auf die Suche nach den besten Kandidaten für unsere Auftraggeber. Womit wir nicht gerechnet hatten: Niemand war bereit zu wechseln.

Verständlich, wenn wir uns einmal das Phasenmodell einer Krise anschauen: erstens, Schock, Lähmung, Nichtwahrhaben-Wollen.

Verständlich, wenn wir uns einmal das Phasenmodell einer Krise anschauen: erstens, Schock, Lähmung, Nichtwahrhaben-Wollen. Ich erinnere mich noch gut an die zwei Meinungslager, die sich rund um die Ende Februar stattfindende CCW, unser allerheiligstes Branchen-Jahresevent, bildeten. Von der absoluten Lähmung durch sofortige Reiseverbote für alle Mitarbeiter einerseits und jenen, die glaubten, mit ein paar Sanitätern mehr vor Ort die Lage im Griff zu haben. Man darf ihnen keinen Vorwurf machen. Niemand konnte wissen, was wirklich vor uns lag. Und natürlich wollte jetzt auch niemand seinen Job wechseln. Warum soll ich jetzt das Risiko einer Probezeit eingehen? Wie soll ich ohne Reisemöglichkeit den neuen Arbeitgeber kennenlernen? Und noch ein anderes Phänomen bescherte uns Personalberatern Absagen: die Loyalität zum jetzigen Arbeitgeber, den man in der Krise nicht im Stich lassen wollte.

Es folgte Phase zwei, die Reaktion: chaotische Emotionen, Verdrängung, Angst. Die wohl lustigste chaotische Emotion war wohl unser Drang danach, genügend Klopapier im Haus zu haben. Viel trauriger hingegen ist der Umstand, dass diese Phase die Geburtsstunde für Verschwörungstheorien und Corona-Leugner ist, die sich offensichtlich bis heute den folgenden Phasen standhaft verschließen.

Es folgte Phase zwei, die Reaktion: chaotische Emotionen, Verdrängung, Angst. Die wohl lustigste chaotische Emotion war wohl unser Drang danach, genügend Klopapier im Haus zu haben.

Die dritte Phase ist die Bearbeitung: Akzeptanz, Lösung suchen. Das war wohl die Phase mit dem größten Aha-Effekt. Denn nachdem in Windeseile Hunderttausende von Contact-Center-Mitarbeitern nebst Equipment zum Arbeiten in das eigene Zuhause verlagert wurden und wir feststellten „wow, das funktioniert ja prima“, entpuppte sich Homeoffice nicht nur als eine vorübergehende Lösung. Diese Wochen und Monate würde ich aus heutiger Perspektive  sogar nicht nur als Lösungs- sondern als Kreativphase bezeichnen. Unzählige Digitalformate an Messen und Kongressen sind entstanden, Neugründungen und Start-ups verzeichnen Rekordstände und insbesondere unsere Contact Center-Branche und auch Kundenservicebereiche in den Unternehmen expandieren wie nie zuvor. Wir entdeckten die Vorteile und Pluspunkte dieser Form zu arbeiten, die als Grundlage für Phase vier dienen, die Neuorientierung zu sich selbst, zur Umwelt.

Diese vierte Phase hat auch bei uns wieder zu neuen Suchaufträgen geführt. Nur unter völlig neuen Rahmenbedingungen als zu Beginn 2020. Unter den Managern und Managerinnen herrscht Aufbruchstimmung. Laut diverser Studien plant jeder Zweite einen Jobwechsel. Noch mehr sind bereit, bei einem passenden Angebot darüber nachzudenken. Das deckt sich mit unseren Erfahrungen. Die Frage, die sich stellt: Was ist gemeint mit einem passenden Angebot? Die Antwort lautet zunächst einmal sehr lapidar: Homeoffice. Und zwar nur. Mehr Geld? Nett, aber nicht so wichtig. Karriereschritt?


Ja, gern, muss aber auch nicht unbedingt sein. Tolles Auto? Nö, brauch ich nicht. Manager und Managerinnen rufen mich an, um mir mitzuteilen, dass sie befürchten, ihr Arbeitgeber wird nach der Krise keine passende Homeoffice- Option anbieten, weswegen sie stark wechselbereit sind. Der Wunsch nach einem Jobwechsel ist eng verbunden mit dem Willen, nicht mehr herzugeben, was an positiven Erfahrungen im krisenbedingten Homeoffice-Modus gewonnen wurde.

Ich habe in den letzten Monaten hunderte Gespräche mit Kandidaten und Kandidatinnen geführt und ich kann Ihnen versichern, es gab nicht ein einziges Gespräch, in dem es nicht um Homeoffice ging. Und ich kann Ihnen auch verraten, Homeoffice ist für die meisten so viel mehr als die bloße Möglichkeit, von zu Hause aus arbeiten zu können. 2020 hat uns einen Blick darauf erlaubt, wie Freiheit und Flexibilität die Gewichtung von Arbeit, Freizeit und Familie, unsere Lebensumstände, neu definiert.

Die dritte Phase ist die Bearbeitung: Akzeptanz, Lösung suchen. Das war wohl die Phase mit dem größten Aha-Effekt.

Ja, ich weiß, manche wollen unbedingt wieder komplett ins Büro. Einzelfälle! Und ja, ich weiß auch um die kontroversen gesellschaftlichen Diskussionen zu dem Thema. Ich sehe auch die Probleme der digitalen Ungerechtigkeit in Familien oder Berufen, für die das Bejubeln von Homeoffice blanker Hohn ist. Auch ich sehe unsere Bundesregierung in der Pflicht, schnellstens für das notwendige Legal Framework zu sorgen, dass die Unternehmen benötigen. Unsere neue Ausgabe des vernetzt! Magazins mit dem Schwerpunktthema „Fernbedienung“ (erscheint Ende Februar 2021) beleuchtet das Thema sehr kritisch, spricht mit Gewerkschaftlern, Unternehmern, Befürwortern und Gegnern. Dennoch, mit unserer Disziplin Kundenservice bewegen wir uns in einem Tätigkeitsbereich, der remote möglich ist. Anders als die Krankenpflege oder das Fachhandwerk. Ergo: Arbeitgeber, die top Führungskräfte und Experten im Bereich Kundenservice gewinnen oder behalten wollen, sollten sich auf diesen neuen Hygienefaktor schnellstens einstellen.

Diese Menschen haben eine konkrete Idee davon bekommen, anstatt im Nine-to-five-Job Feierabend und Wochenende entgegenzufiebern, eine ausgewogene Work- Life-Balance an sieben Tagen die Woche zu erleben. Da ist der Familienvater, der genauso viel arbeitet wie vorher, aber gleichzeitig mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen kann. Da ist die gerettete Ehe, weil das Thema Umzug vom Tisch ist. Die neue Perspektive, dass das eigene Häuschen auf dem Land eine Wertsteigerung erlebt. Da ist das empfundene Glück darüber, dass der berufsbedingte Hausverkauf ad acta gelegt werden kann. Da fällt die Belastung des viele Stunden im Stau Stehens, um zur Arbeit zu kommen, weg. Die Freude über das eingesparte Geld für die Zweitwohnung am Arbeitsort. Oder die weggefallenen Kosten für den Zweit- oder Drittwagen. Die glückliche Familie, weil man Mama oder Papa nicht nur am Wochenende sieht. Der Fitnessraum im Keller, der endlich wieder genutzt wird. Oder die Ferienwohnung im Süden, die jetzt über Wochen oder gar Monate auch als Arbeitsplatz dient.

Diese vierte Phase hat auch bei uns wieder zu neuen Suchaufträgen geführt. Nur unter völlig neuen Rahmenbedingungen als zu Beginn 2020.

Unzählige Geschichten dieser Art habe ich gehört, und eine davon könnte von jemandem in Ihrer Firma stammen. Statt sich also Gedanken zu machen, ob Sie als Arbeitgeber Homeoffice möglich machen, empfehle ich ein offenes Ohr für den Anspruch Ihrer Angestellten an Freiheit und Flexibilität. Die Frage ist schlicht nicht, ob Sie Homeoffice ermöglichen können, sondern wie, und was das für Ihre gesamte Organisation bedeutet. Corona ist damit wirksamer als jede Quotenregelung, es braucht auch keine Appelle mehr an die Vernunft, sondern die umworbenen Talente zwingen Arbeitgeber schlicht, ihre Unternehmenskultur zu modernisieren. Gute Leute sind selbstbewusst, weil sie wissen, was sie können, und weil der Wettbewerb um die besten Talente ihnen eh in die Karten spielt. Gestärkt sind sie aus der Krise gekommen und darüber hinaus praxiserfahren im erfolgreichen digitalen Managen und Führen.

Und immer mit der Conditio sine qua non: „Frau Gordelik, ohne Homeoffice brauchen wir nicht weiterreden.“


Autorin: Iris Gordelik

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