Junokai Tipp der Woche KW 31-2022

Gedankenspiele für den Service von morgen


Steigende Löhne und Gehälter, Mindestlohnanpassungen, Arbeitskräfteknappheit, massive Verlagerungsbewegungen an Nearshore Standorte oder auch zunehmende Digitalisierung des Service durch Conversational AI. All das sind Trends und Entwicklungen, mit denen sich Serviceverantwortliche auseinandersetzen müssen, um die richtige Strategie für den eigenen Service zu entwerfen und dann konsequent zu verfolgen.

Klar ist, dass auch im Service nichts so bleiben wird, wie es mal war. Dazu sind die derzeit beobachtbaren technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen zu groß.

Fakt ist: Der Service wird immer digitaler – doch in welchem Ausmaß, darüber streiten sich die Gelehrten. Wir sind sicher, dass nach wie vor auch in 5-10 Jahren ein großer Teil der Serviceanfragen assistiert bedient werden, auch wenn einfache Prozesse zunehmend automatisiert beantwortet werden können. Unsere Schätzung ist, dass assistierte Kanäle, also die, bei denen eine Interaktion zwischen Kunde und einem Servicemitarbeiter stattfindet, auch im oben genannten Zeitraum noch 50-60% des Bearbeitungsvolumens ausmachen. Auch der Kanal Telefon wird weiter seine Berechtigung haben, um Anliegen persönlich und mit schneller Interaktion zu lösen. Von den assistierten Kanälen wird auch in den kommenden Jahren das Telefon als Kanal zwischen 40 und 50% der Kontaktvolumen einnehmen. Experten, die in diesem Zeitraum bereits das Ende der assistierten Kanäle prognostizieren, sind sehr optimistisch.

Wer auch an diese These glaubt, der sollte sich auch genau auf diese Situation einstellen und die sich stetig verändernden technologischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beobachten.

Das bedeutet auf jeden Fall, die Entwicklung zu einem digitalen Kundenservice, zu mehr Self Service und Conversational AI, mitzugehen. Um dieses Thema kommt der Kundenservice nicht herum und muss sich einfach damit beschäftigen, um die nicht-assistierten Kanäle schrittweise auszubauen.

Doch wie soll die Strategie für die durch Servicemitarbeiter assistierten Kanäle aussehen? 

Klar ist, dass es zunehmend schwerer wird, Mitarbeiter in Deutschland in deutscher Sprache zu günstigen Konditionen an zentralen Service-Lokationen zu finden und nur durch diese die eigenen Kunden betreuen zu lassen.

Um Handlungsoptionen zu verstehen und richtig einzuordnen, kommt es natürlich auch darauf an, welche Toleranzschwellen Kunden künftig mitbringen und was Unternehmen ihren Kunden guten Gewissens „zumuten“ können und wollen.

Ein Szenario, das seine Daseinsberechtigung hat, nennen wir das „Verständnisszenario“. Bereits heute bemerkt die Gesellschaft und damit auch die Konsumenten, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, dass Züge pünktlich sind, Flieger nicht storniert werden, Wartezeiten an Flughäfen kurz sind oder Handwerker zügig zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. In Anbetracht immer weniger Arbeitsloser und immer mehr offener Stellen wird es auch künftig zu Engpässen kommen, die zunehmend eine Art Normalsituation darstellen werden, auch wenn Sie jetzt sagen, dass das doch alles andere als normal ist. Es wird zunehmend „normaler“, denn die Alternativen werden das Problem lindern aber nicht kompensieren oder überwinden.

Das bedeutet in der gedanklichen Weiterentwicklung, dass auch der Service eben von dieser Entwicklung betroffen sein wird, so wie er es heute bereits in großen Teilen ist. Da die Situation sich allerdings verschärfen wird, ist es mit einer Maßnahme allein nicht getan. 

Ein Beispiel: Unternehmen, die aus Verfügbarkeits- und Kostengründen in den vergangenen Monaten und Jahren Service ins Nearshore-Ausland verlagert haben, sehen sich inzwischen auch dort mit steigenden Kosten, knappen Mitarbeiterressourcen und qualitativen Problemen konfrontiert. Nur Nearshore und weitere Verlagerung von Ressourcen kann nicht die alleinige Lösung sein.

Wir glauben, dass der Kunde in der Zukunft toleranter und „leidensfähiger“ wird. Dass das keine Entschuldigung für schlechten Service sein soll, wollen wir an dieser Stelle ausdrücklich unterstreichen. Aber diese Erkenntnis kann wichtig sein für die Optionen, die sich bieten, um assistierten Service in ausreichender Kapazität und akzeptabler Qualität bereitzustellen. Im Vordergrund wird die Problemlösungsfähigkeit für den Kunden (und das zu für das Unternehmen akzeptablen Kosten) stehen. Wenn das Anliegen des Kunden gelöst wird, also auf das „was“ eine Antwort bzw. Lösung gegeben wird, dann wird das „wie“ eher zur Nebensache. Das kann so weit gehen, dass das „wie“ offen und ehrlich kommunikativ durch das Unternehmen in Richtung der Kunden unterstützt wird (z.B. „Wir setzen bewusst Conversational AI und Bots ein, um unsere knappen Ressourcen für die Lösung komplexer Anliegen zu reservieren.“ oder „Wir bieten auch englischen Support, um noch mehr Mitarbeiter zur Lösung Ihrer Anliegen in Zeiten großer Personalknappheit bereit zu halten.“…usw.)

Möglichkeiten, die wir als überdenkenswerte Antworten auf diese Herausforderung sehen (unverbindlich als Diskussionsbasis und ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder unbedingten Anwendungszwang):

Remote Work: Die Zahl der remote arbeitenden Mitarbeiter, onshore, nearshore und auch weltweit, wird im Service steigen. Wenn eine zwingende räumliche Präsenz nicht mehr nötig ist, ist das Mitarbeiterpotenzial weitreichend.

Englisch als new normal: Viele junge Menschen wachsen in Deutschland inzwischen selbstverständlich mit Englisch als Fremdsprache auf. Service für deutsche Kunden in Englisch kann eine Alternative sein, um Personalengpässe auszugleichen.

Übersetzungsassistenten: Beispielsweise im Nearshore Einsatz können durch Sprachassistenzsysteme Echtzeitübersetzungen in schriftlicher und mündlicher Kommunikation eingesetzt werden, um die Qualität muttersprachlich nicht (so) versierter Mitarbeiter zu stärken, die man ohne diese Assistenten nicht einsetzen würde.

Skillbasierte Abstufung des Service: Eine konsequente prozess- und komplexitätsorientierte Mitarbeiterbesetzung anhand der Beskillung, so dass die sprachlich und fachlich besten Mitarbeiter die komplexesten Sachverhalte bearbeiten und mit den Kunden besprechen.

Learning: Aus- und Weiterbildungskonzepte müssen sich auch an die schwächsten Mitarbeiterressourcen richten, die man früher vielleicht nicht (mehr) beschäftigt hätte. Ein Ausbildungs- und Entwicklungspfad, on- wie auch nearshore, kann zusätzliche Mitarbeiterpotenziale herausbilden.

Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass ein Unternehmen für sich die Zukunft einschätzen sollte, und, darauf basierend, Wege identifizieren muss, wie es sich in diese Zukunft bewegt und somit dauerhaft flexibel handlungsfähig bleibt. Natürlich können sich auf diesem Weg Rahmenbedingungen weiter verändern. Wer es aber schafft, kreativ im eigenen Service Szenarien und Lösungsansätze aufzubringen, kritisch zu beleuchten, anzunehmen oder zu verwerfen und dabei auf kritischen internen Diskurs setzt, der wird Lösungen finden und diese managen können.

Henning Ahlert – Gründer und Managing Director

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