VERNETZT MIT IRIS GORDELIK
Rückblickend auf meine 35 Jahre im Customer Management habe ich permanent Veränderung erlebt.
Ich war dabei, als das Baby Telefonmarketing auf die Welt kam, habe es dann durch die Jugend begleitet. Das Geschwisterchen Internet kam kurz nach ihr auf die CM-Welt und entwickelte sehr schnell sagenhafte Fähigkeiten. Zusammen gestalteten sie modernen Kundenservice und in ihrer Jugend schossen sie vor Erfolg durch die Decke. Bald schon versorgte jedes Unternehmen seine Kunden mit den beiden, schließlich gaben die Kunden so mehr Geld aus. Und als man merkte, wie viele Informationen über Kunden so gesammelt wurden, kam gerade rechtzeitig Brüderchen Data Science auf die Welt. Der konnte genau sagen, wann Schwester Telefon oder wann besser die Geschwister für Post, Mail oder Chat aktiv werden sollten. Und so konnte er auch Kosten sparen helfen. Echt eine glückliche und erfolgreiche Familie. Wenn da nicht der KI-Clan wäre. Die Sippe macht sich mehr und mehr breit und sagt Schwester Telefon sogar das Sterben voraus. Ein echter Schock, denn Hundertausende Arbeitsplätze hängen daran. Nur Brüderchen Data Science scheint verschont. Immer häufiger hat man ihn schon zu Besuch beim KI-Clan gesehen.
Bewusst habe ich dieser Geschichte menschliche Figuren gegeben.
Denn Veränderungen werden vielleicht durch Technologie getrieben, aber durch Menschen gemacht. Und Menschen und Veränderungen, das ist so eine Sache. Bisher ging es im Customer Service immer nur aufwärts, wenigstens aber mal seitwärts. Aber jetzt ist das böse Wort Sterben gefallen. Eine riesige Industrie und viele Arbeitsplätze, die bisher vom Telefonieren existiert haben, bangen ums Überleben. Verlust droht. Wir – und da nehme ich mich nicht aus – müssen loslassen. Neurobiologen beschreiben, was jetzt bei Schwester Telefon passiert: Das Gefühl von Wertlosigkeit bei gravierenden Veränderungen aktiviert Schmerzareale im Gehirn und der Botenstoff „Substanz P“ (wie Pain = Schmerz) wird ausgeschüttet. Funktioniert übrigens auch umgekehrt: Wenn wir Gewohntes tun, freut sich das Hirn und schüttet Opiate, also Glückshormone aus. Neurobiologisch betrachtet müssen unsere Hormone gerade im Achterbahn-Modus sein. Neben den Loslassen-Schmerzen im Customer Service sehen wir den Sensenmann vom KI-Clan vielerorts: Elektroauto beerdigt Verbrennungsmotor, agile Organisation verdrängt Hierarchie, Onlineshopping versus stationäre Ladenlokale, Roboter ersetzen Mensch-Arbeitsplätze, Access statt Besitzen, Vertriebsplattform oder Marke. Das lässt sich beliebig fortsetzen.
Fakt ist: Ob privat oder beruflich – es gibt keinen Quadratzentimeter, der vor Veränderung verschont bleibt!
Irgendwo erwischt uns der Sensenmann und jeder ist gut beraten, längst weit vor ihm zu sein, statt zu versuchen auszuweichen. Loslassen wird zur Pflicht. Ich sehe keine Alternative. Und ich rede hier wirklich von loslassen und nicht ein bisschen verändern. KI wird im Customer Management viele Menschen schlichtweg überflüssig machen. Veränderungen zu managen haben wir ja noch gelernt. Aber Pain-Management, Verlustangst-freies Managen – das fällt uns halt verdammt schwer. Das wird auch nicht jeder schaffen zu lernen. Ich bin überzeugt, wir werden nicht nur zahlenmäßig einen Mangel an Führungskräften haben. Wir werden – und eigentlich ist es stellenweise heute schon so – Führungskräfte haben, die zwar arbeiten wollen, aber keinen Platz finden. Oder vielleicht nur noch dort, wo das Unternehmen selbst Probleme mit dem Loslassen hat. Da umarmen sich dann halt die Ertrinkenden. Mit Glück klappt das auch noch einige Jahre. Ich kann jede Führungskraft nur dazu ermuntern, aktiv die Zukunft im Customer Management mitzugestalten und Loslassen zum Management-Skill zu machen. Nach diesen Führungskräften lecken sich Headhunter und Unternehmen die Finger.
Und zum Abschluss noch ein besänftigter Gedanke:
Auch wenn sich unsere Welt durch KI total verändern wird, was bleibt, ist doch unsere Leidenschaft für Kunden. Vor 35 Jahren (da war ich Teamleiterin beim CC Dienstleister TAS) habe ich einmal einer Freundin versucht zu erklären, was ich arbeite und sagte: „Ich arbeite in einer Firma, die es versteht, Kunden zu finden und Kunden zu binden.“ Bis heute und auch in Zukunft ist das die Grundlage für professionelles Customer Management.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Kraft fürs Loslassen.
Ihre Iris Gordelik
PS: Ich würde mich sehr über Ihre Kontaktaufnahme zum Thema Loslassen freuen. Erzählen Sie mir Ihre Geschichte vom Loslassen. Sehr gern nehme ich diese mit in die Redaktionssitzung für eine Ausgabe von „vernetzt! – Das Magazin für Customer Management Executives“.
INFO: www.gordelik.de