Junokai Tipp der Woche KW 19 – 2022

Mit Plan zum systematischen Beschwerdemanagement


Beschwerden im Customer Service – vielbeschworen, wertvoll, gewünscht und doch ungeliebt

Sicherlich haben Sie alle schon viel über Kundenbeschwerden gelesen, wie wichtig sie doch sind, wie potenziell wertvoll für das Unternehmen. Doch Hand aufs Herz:

  • Was passiert in Ihrem Unternehmen, wenn sich ein Kunde beschwert?
  • Sind da alle erfreut?
  • Weiß jeder sofort, wie damit umgegangen werden sollte?
  • Wie lange dauert die Bearbeitung der Beschwerde, ist sie wirklich „Priorität 1“?
  • Wird in Lösungen gedacht oder wird oft auch „abgewiegelt“?
  • Gerade im Customer Service sind Beschwerden das „täglich Brot“ der Mitarbeiter und Führungskräfte. Manche Unternehmen managen dieses Thema professionell, viele jedoch auch nicht. Dabei tun sich oftmals so manche Verbesserungspotentiale auf.

Es ist oftmals gar nicht klar, was eine Beschwerde ist und wie sich diese von einer sonstigen Kundenrückmeldung abgrenzt. Wenn Sie wissen wollen, warum gerade diese Unterscheidung so wichtig ist, dann lesen Sie jetzt weiter.

Beschwerden sind normal und unvermeidlich 

Beschwerden sind normal und treten überall auf. Jedes Unternehmen möchte so wenig Beschwerden wie möglich erhalten und misst die eigene Qualität auch an diesen Rückmeldungen der Kunden.

Dabei ist es zunächst unerheblich, ob ein Fehler bemängelt oder Erwartungen nicht erfüllt wurden. Ebenso ist es nicht von Belang, ob die Beschwerde berechtigt oder unberechtigt ist oder wer den Mangel verursacht hat.

Reklamationen bilden eine Untergruppe der Beschwerden. Im Unterschied zur bloßen Beschwerde ist die Reklamation nicht nur ein unverbindlicher Ausdruck von Unzufriedenheit, sondern als Willenserklärung auf die Ausübung der gesetzlichen Rechte gerichtet. Darauf soll hier nicht näher eingegangen werden.

Die Einführung eines systematischen Beschwerdemanagements in sechs Schritten

Grundsätzlich bedarf es für die Einführung eines systematischen Beschwerdemanagements, Vorkehrungen in der gesamten Organisation zu treffen. Die schrittweise Installation hat sich in folgenden Schritten bewährt:

Schritt 1: Definition und Eingrenzung: Was ist für uns eine Beschwerde?

Zu wissen, wann eine Beschwerde vorliegt, ist besonders wichtig für die operativen Mitarbeiter mit direktem Kontakt zum Kunden (Beschwerdeführer). Denn nur so kann dieser sicherstellen, dass auch die richtigen Maßnahmen ergriffen werden können und der Kunde eine adäquate Rückmeldung mit den erforderlichen Folgeaktivitäten erlebt.

Ich erinnere mich da an ein Beispiel aus meiner Beraterpraxis. Ein Kunde schrieb an das Customer Service Team eine nicht gerade freundliche Mail, der Kundenservice sei schlecht und die vielfach versprochene Unterlage noch immer nicht zugestellt. Er fordere also diese Unterlage hiermit nochmals an und erwarte nun endlich die Erledigung.

Für den Mitarbeiter des Kundenservice-Teams stellte sich hier nun die Frage: Ist dieses eine Kundenbeschwerde oder nicht – also welche Richtlinien sind anzuwenden? Einfach mit einer freundlichen Mail den gewünschten Bericht aussenden oder sind weitergehende Maßnahmen im Sinne des Beschwerdemanagements notwendig?

Der Mitarbeiter reagierte in diesem Falle richtig, denn es konnte keine vorhergehende Kommunikation dieser Art mit dem Kunden gefunden werden. Auch war der Bericht bereits einmal belegbar versandt worden. Nach Definition des Unternehmens lag also keine Beschwerde vor – der Kunde bekam den Bericht mit freundlichen Worten ein zweites Mal, damit war der Fall erfolgreich abgeschlossen.

Das Beispiel aus der Praxis zeigt eindrücklich, wo ein Mangel des Beschwerdemanagements vieler Unternehmen liegt. Es klingt einfach, aber es muss genau festgelegt worden sein, welches die Definition für eine Beschwerde ist und wo die Grenze zu einer normalen Kundenanfrage liegt.

Im Falle des Beispiels oben war (vereinfacht gesagt) definiert, dass eine Beschwerde einen wirklichen Mangel des Unternehmens zum Grund haben muss, also ein Defizit an Freundlichkeit der Mitarbeiter, in der vertraglich vereinbarten Leistung oder in der Information des Kunden.

So oder so ähnlich lautet auch unsere Empfehlung der Definition. Immer dann, wenn etwas nicht so erbracht wurde, wie der Beschwerdeführer es erwarten kann, liegt eine (wirkliche) Beschwerde vor. Dabei ist es unerheblich, in welchem „Ton“ die Kundenäußerung vorgebracht wird.

Im Zweifel kann man die Definition oder Typen von Beschwerden noch passend zum eigenen Unternehmen entsprechend verfeinern und mit entsprechenden Verhaltensweisen hinterlegen, also z.B.

  • Unlösbare Beschwerden, weil unberechtigt oder technisch unmöglich
  • Berechtigte Beschwerden, weil etwas fehlt oder wirklich schiefgelaufen ist
  • Beschwerden bezüglich „weicher Faktoren“ wie z.B. Freundlichkeit der Mitarbeiter
  • Beschwerden bezüglich „harter Faktoren“ wie z.B. eine vereinbarte Leistungen
  • Kundenbeschwerden
  • Mitarbeiterbeschwerden
  • Beschwerden von Kooperationspartnern
  • Beschwerden adressiert an die Geschäftsleitung
  • Produktbeschwerden
  • Beschwerden bezüglich Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben
    Etc.

Egal was definiert wird, hauptsache es ist möglichst klar, was eine Beschwerde ist und was eine normale Kundenäußerung ist.

Schritt 2: Definition von Verantwortlichkeiten und Abläufen: Wer ist für was verantwortlich und wie soll gehandelt werden?

Auch dieser Schritt klingt zunächst einmal profan. Es soll verbindlich definiert werden, was bei Beschwerden im Ablauf von wem zu tun ist. Natürlich steht meistens der Kundenberater an vorderster Front. Aber es sind alle Hierarchieebenen der Organisation zu berücksichtigen.

Es ist also zu definieren, welche Eskalationsstufen von wem durchgeführt werden (dürfen). Ebenso ist es wichtig verbindlich festzulegen, welche beteiligte Person welchen Spielraum für Entscheidungen und Aktivitäten hat.

Genauso ist der gewünschte Ablauf der Beschwerdebearbeitung in einer Prozessbeschreibung festzuhalten. Dies ist besonders wichtig für den Mitarbeiter der unmittelbar den Kontakt zum Kunden hält, denn nur so kann er demselben gegenüber „auf Augenhöhe“ begegnen und Verantwortung übernehmen.

Weitere Aspekte der Dokumentation sind z.B.:

  • Wer beschwert sich? (Kunden, Dienstleister, Partner, Mitarbeiter etc…)
  • Synchrone und asynchrone Bearbeitung der Beschwerden
  • Bearbeitung in verschiedenen Eingangskanälen
  • Reaktion über welche Ausgangskanäle
  • Kulturelle Unterschiede bei europa- oder weltweitem Kundenservice
  • Beschwerdeübermittlung an den verschiedenen Touchpoints möglich
  • Erfassung und Dokumentation von Beschwerden
  • Etc.

Hier eine vollständige Liste der zu definierenden Aspekte darzustellen, sprengt unseren Rahmen. Man merkt aber: Je mehr man sich mit einer vollständigen Festlegung des Themas Beschwerdemanagement beschäftigt, desto umfassender wird der zu definierende Rahmen.

Schritt 3: Infrastruktur: Wie wird die Verfahrensanweisung zum Beschwerdemanagement allen zur Verfügung gestellt?

Alle oben genannten Aspekte sollten in einer Organisationsanweisung oder einer Prozessdokumentation allen Mitarbeitern des Unternehmens zur Verfügung gestellt sein. Nur so ist auch sichergestellt, dass eine einheitliche Handlungsweise zu einem guten Bild nach außen, also zum Kunden (oder sonstigem Beschwerdeführer) beiträgt. Da Beschwerden an sich zunächst einmal kein positiver Kontaktanlass für den Kunden bedeuten, muss mit höchster Professionalität und zeitlich priorisierter Vorgehensweise durch das Unternehmen bewiesen werden, dass der Beschwerdeanlass eine Ausnahme darstellt.

Aus diesem Grunde macht es immer Sinn, solch wichtige Prozess-Dokumentationen für alle zugänglich in einem gemeinsamen IT-Tool zur Verfügung zu stellen. So ist jede beteiligte Person in der Lage, sich über die notwendigen Schritte und Verantwortlichkeiten zu informieren und entsprechend zu handeln. Auch die andauernde Pflege und Aktualisierung der Dokumentation kann in notwendigen Zeitintervallen vorgenommen werden.

Ausdrücklich gewarnt sei vor Papierdokumenten am Arbeitsplatz (oder auf dem Rechner gespeichert). Diese sind meist nicht aktuell und stellen somit die einheitliche definierte Vorgehensweise nicht sicher.

Ein interessanter Aspekt ist auch die Frage, ob es nicht Sinn macht dem Kunden (oder sonstigen externen Beschwerdeführer) die Möglichkeit zu geben, sich über die vorgeschriebenen, definierten Beschwerdestandards selber informieren zu können, z.B. auf der Website des Unternehmens. Das könnte zusätzlich beim Kunden verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, sofern die Beschwerdebearbeitung gemäß den gültigen professionellen Richtlinien erfolgt.

Untersuchungen haben auch gezeigt, dass eine positive und schnelle Beschwerdebearbeitung die Kundenloyalität sogar noch steigern kann.

Prominentes Beispiel dafür ist wohl aus unser aller Erfahrungskreis die Beschwerdebearbeitung bei Amazon. Kaum ein Kunde hat Zweifel, dass bei auftretenden Schwierigkeiten nach einem Kauf eine an Amazon gesendete Beschwerde nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führen wird. Und das gilt sogar, selbst wenn der Verkauf nicht durch Amazon erfolgte, sondern durch einen anderen Plattformhändler. Deswegen sind (unter Anderem) das Kundenvertrauen und die Loyalität zu Amazon auch sehr groß.

Schritt 4: Auswertung und Analyse der erfassten Vorfälle

Nun sollten wir uns damit beschäftigen, wie die Beschwerden laufend dokumentiert und erfasst werden. Bevor Beschwerden und Pannen zu einem Entwicklungspotential für die Organisation oder das Unternehmen werden können, muss über einen gewissen Zeitraum die Sammlung und Auswertung der Vorfälle und Handlungen stattfinden. Wer was und wo bei einer einzelnen Beschwerde hinterlegen soll, ist bereits in der oben beschriebenen Dokumentation festgehalten.

Man schafft nun eine auswertbare Klassifizierung der Beschwerdetickets im CRM-System mit ggf. einer standardisierten Beschreibung des Vorfalls (z.B. anzuklickende Kästchen, die den Inhalt der Beschwerde einordnen, z.B. „Beschwerde zum Produkt xy“ oder „Beschwerde zum Verhalten“ etc.). Mit entsprechendem Aufwand im Kundenservice ist dieses dann beliebig fein auswertbar.

Nun gilt es, die erfassten Vorfälle regelmäßig auszuwerten. Dazu werden eine oder mehrere Kennzahlen gebildet und immer gleich berichtet. So ergibt sich dann über einen definierten Zeitraum ein Bild der Dinge, die nicht glattgelaufen sind.

Und auch hier sollte das Prinzip gelten: Transparenz nach innen und nach außen – Mitarbeiter und idealerweise Kunden werden über verschiedene Kanäle bezüglich dieser Zahlen direkt oder nach bestimmten Aspekten gefiltert informiert.

Schritt 5: Maßnahmen und Verbesserungen zur Vermeidung und Optimierung

Nun kennen wir die Abläufe, die Zahlen und Häufigkeiten und andere Schwerpunkte für die Entstehung von Beschwerden. Jetzt möchte jedes Unternehmen die Gelegenheit nutzen, aus diesen Erkenntnissen Verbesserungen und Optimierungen abzuleiten.

Das Minimalziel dabei muss sein, solche Verbesserungen zu planen und umzusetzen, so dass die bezeichneten Beschwerden nicht mehr auftreten (können). Dazu werden Produkte verbessert, Prozesse angepasst, Mitarbeiter geschult usw.- die Maßnahmen können sehr vielfältig sein.

Wir sind nun im Olymp des Beschwerdemanagements angekommen, denn jetzt wird der Nutzen von Beschwerden von Kunden (und anderen Beschwerdeführern) klar. Es tut sich Verbesserungspotenzial auf, das so vielleicht nie erkannt und gehoben worden wäre.

Ohne diesen wichtigen Schritt 5 kann man sich alles Gedöns rund um das Thema Beschwerden sparen. Ohne die Aktivitäten in Schritt 5 wird das Unternehmen nie die Anzahl der Beschwerden geplant reduzieren können.

Schritt 6: Betreuung des Beschwerdemanagementsystem in der Aufbauorganisation

Deswegen gilt es, weiterhin Verantwortliche im Unternehmen festzulegen, die die Übertragung der Erkenntnisse aus dem Beschwerdemanagement in die operativen Teams sicherstellen und den Umsetzungserfolg wiederum mit den laufenden Kennzahlen des Beschwerdebereiches abgleicht. Das Beschwerdemanagement lebt also nicht nur durch Definitionen und Dokumentationen, sondern auch aus der Verankerung in der Aufbauorganisation.

Je nach Unternehmen sind eine oder mehrere Personen damit betraut, die oben beschriebenen Aktivitäten und Voraussetzungen zu steuern und zu entwickeln. Es macht Sinn, hier ein abteilungs- und hierarchieübergreifendes Team (Leitung, Sachbearbeitung, Reporting, QM, Compliance) zu installieren, um dieses Thema als wichtig zu verankern.

Fazit

Ist das nicht ein Traum! – die Kunden beschweren sich und das Unternehmen profitiert und wird besser und besser. Das ist möglich!

Um dieses Ziel zu realisieren, muss mit den eingehenden Beschwerden (und Reklamationen) sorgsam und ernsthaft umgegangen werden. Mit der Organisation eines professionellen, nachhaltigen Beschwerdemanagements kommt jedes Unternehmen endlich davon weg, dass Beschwerden in der Serviceorganisation als lästig und störend empfunden werden.

Leider werden heute Beschwerden von Mitarbeitern oft noch unprofessionell beschwichtigt, ohne dass diese wirklich gelöst werden und ohne das Unternehmen eine wichtige Chance, nämlich die Möglichkeit zur Verbesserung, nutzen.

Beschwerden sind damit das Gold des Kundenfeedbacks und viel mehr Wert als jedes geäußerte Lob von Kunden.

Michael Fürst – Consultant

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