© Schug, Katharina Schug, Head of UC & Contact Center, CONET

Sind wir nicht alle ein bisschen Contact Center?

In der aktuellen Lage arbeiten so viele Menschen von Zuhause wie nie zuvor. Dabei müssen sie sich mit einer ganzen Reihe von Herausforderungen auseinandersetzen, mit denen Call Center-Agenten aus ihrer täglichen Arbeit nur allzu vertraut sind. Aber auch Contact Center sehen sich derzeit in vielen Fällen gesteigerten oder veränderten Anforderungen gegenüber. Können wir neben allen Belastungen und Einschränkungen auch etwas Positives aus der Corona-Zeit mitnehmen? Und können wir uns etwas von den Contact Center-Mitarbeitern „abschauen“?

Multi-Channel-Kommunikation
Während Mitarbeitende nicht wie sonst im Büro zu einem direkten Austausch in der Lage sind, muss auf den ersten Blick deutlich mehr und anders kommuniziert werden. An die Stelle des persönlichen Austauschs vor Ort treten E-Mail, Chats, Telefon- und Videokonferenzen – teilweise vereinzelt, teilweise auch in technischen Collaboration-Lösungen gesammelt. Das erhöhte kommunikative Aufkommen gleichzeitiger und eng aufeinander folgender Chats, Anrufe und E-Mails stellt mitunter durchaus eine Belastung dar. Es führt zu dem Eindruck, dass die eigentliche Arbeit liegen bleibt, da sämtliche Zeit in Abstimmungen, Telefonate und das Schreiben von Nachrichten fließt. Natürlich ist eine schriftliche oder selbst telefonische Kommunikation aufwendiger als ein Ruf zum Nebentisch oder ein schneller Austausch an der Tür des Nebenbüros. Oftmals liegt die Schwierigkeit aber nicht in der Kommunikation an sich, sondern vielmehr an der Tatsache, dass man das parallele Kommunizieren auf mehreren Kanälen gegenüber geübten Contact Center-Agenten nicht gewohnt ist.

(c)iStock

Auf die Struktur kommt es an
Hier hilft nur eine klare Strukturierung. Folglich ist es wichtig, sich im jeweiligen Arbeitsumfeld und den eigenen Teams möglichst früh damit auseinanderzusetzen, welche Kommunikationswege es gibt, und welche davon für welche Aufgaben oder Prozesse wie genutzt werden sollen:

Chat
Ein Chat eignet sich hervorragend für kurze Fragen und ebensolche Antworten. Sobald Erklärungen sich aber in die Länge ziehen oder sich Rückfragen häufen, ist es sinnvoll, das Medium zu wechseln und beispielsweise eine Telefon- oder Videokonferenz zu initiieren, zu einem Zeitpunkt, der für alle Beteiligten passt. Auch hier gilt es abzuwägen: Handelt es sich um einen Call zu einem einfachen fachlichen Thema unter guten Kollegen, ist in der Regel eine leitungsschonende Telefonkonferenz ausreichend. Sind aber Konflikte nicht auszuschließen oder sprechen Menschen erstmals miteinander, ist je nach Situation ein Video-Call zielführender, da hier zumindest die Mimik und Reaktionen des Gegenübers besser wahrzunehmen und einzuschätzen sind.

Telefon
Im Umkehrschluss also dient der telefonische Kontakt entweder dringenden und wichtigen oder aber abstimmungsintensiven Themen – im letzten Fall aufgrund des Zeitbedarfs dann nur mit einer Vorankündigung und wohldosiert. Wird hingegen für jede, mitunter nicht einmal dringende oder wichtige kurze Nachfrage der Telefonhörer zur Hand genommen, kommt es zu häufigen Störungen des Arbeitsablaufs. Das führt im schlimmsten Fall dazu, dass Mitarbeitende den Klingelton abstellen oder Anrufe schlichtweg ignorieren.

E-Mail
Die E-Mail schließlich sollte immer dann zum Einsatz kommen, wenn die Themen nicht zeitkritisch sind, den inhaltlichen Rahmen einer Chat-Nachricht sprengen, aber gleichzeitig nicht so komplex sind, dass sie eine Konferenzschaltung verlangen. Auch wenn eine nachhaltigere Dokumentation als in einem Gespräch oder Chat gewollt oder notwendig ist, sollte eine E-Mail gewählt werden.

Zur INTRE Newsletter Anmeldung

Kommunikation beherrschen
Die Grundprämisse bleibt, sich nicht von der Kommunikation beherrschen zu lassen, sondern selbst die Kommunikation zu beherrschen und sich nicht von jeder eingehenden Chat-Nachricht oder E-Mail aus der aktuellen Aufgabe zerren zu lassen. Klare Regelungen zur Nutzung von Kommunikationsmitteln und -wegen, wie sie oben angerissen sind, helfen dabei. Letztlich kommt es aber auch auf die Selbstorganisation jedes Einzelnen an, wenn es darum geht, Arbeit und Kommunikation zu strukturieren. Telefongespräche sollten, wann immer möglich, direkt angenommen werden, um dem Gegenüber Warteschleifen oder einen zeitraubenden erneuten Anruf zu ersparen, da sie nach obiger Definition für wichtige und dringende Anfragen reserviert sind. Chat-Nachrichten haben nach obiger Definition kurzen Info- oder Austauschcharakter, müssen nicht sofort gelesen, sollten aber aufgrund des geringen Aufwands zeitnah gesichtet und beantwortet werden. Für E-Mails und andere zeitaufwendigere Abstimmungsprozesse sollten feste Zeitfenster zur Sichtung und Bearbeitung vorgesehen werden, damit diese nicht die aktuellen Aufgaben ausbremsen, aber auch nicht in Vergessenheit geraten.

Service Level Agreements
Hilfreich ist zudem auch eine Festlegung von in Service Centern und Hotlines seit jeher üblichen Service Level Agreements (SLAs). Ein sperriger Begriff, der letztlich im Kern darauf abzielt, auch intern Richtwerte dafür festzulegen, bis wann mit einer Reaktion oder Beantwortung der Anfrage oder Bearbeitung der Aufgabe spätestens zu rechnen ist. Ist ein solches Vorgehen mit den zu erwartenden Kommunikationspartnern abgestimmt und halten sich alle Beteiligten an diese Vereinbarungen, sind Erwartungshaltungen und Kommunikationsprozesse klar und akzeptiert, was wiederum Nachfragen und kommunikative Reibungsverluste weiter minimiert. Derartige Bearbeitungsroutinen, festgelegte Strukturen und Abläufe sowie nicht zuletzt nachvollziehbare Service Level gehören zum Handwerkszeug jedes Service Centers. Und auch bei den Soft Skills und den alltäglichen Anforderungen an Multitasking, Selbstorganisation, Flexibilität und Stressresilienz lohnt ein Blick in die Contact Center-Welt, um sich für den „Hausgebrauch“ im Homeoffice erprobte Strategien und bewährte Methoden abzuschauen.

Netzwerke, Daten und Prozessintegration
Bei der Betrachtung der eher technischen Themen steht am Anfang natürlich die Verfügbarkeit ausreichend guter Kommunikationsnetze und Datenleitungen. Derzeit lassen sich hier zwei Beobachtungen an den jeweiligen Endpunkten machen: Zum einen muss die eigene Organisation ausreichend Bandbreite und Kapazität bereitstellen, um allen extern Arbeitenden die Kommunikation miteinander und den notwendigen Zugriff und Austausch von Daten zu ermöglichen. Gleichzeitig aber hilft auch das stärkste Unternehmensnetzwerk nur wenig, wenn die Anbindung an den Heimarbeitsplatz der Mitarbeitenden nicht die notwendige Stabilität oder Bandbreite hergibt.

Ein weiterer zentraler Aspekt ist der Zugriff auf die für die eigene Arbeit notwendigen Informationen, Daten und Unterlagen. Gesetzt den Fall, dass diese zumindest schon durchgängig digital verfügbar sind, bedeutet das ja noch lange nicht, dass diese auch von außerhalb des Unternehmensnetzes vor Ort erreichbar sind. Was sich mit modernen Collaboration-Plattformen in weiten Teilen des beruflichen Alltags lange nur allmählich, nun in der Krise aber mit Hochdruck durchsetzt, hat in Call und Service Centern als CTI (Computer Telephony Integration) schon vor Jahrzehnten begonnen und sich vielerorts bereits zu einer beinah kompletten Prozess-, Workflow- und Datenintegration entwickelt.

Informationssicherheit und Datenschutz schließen sich hier als Folgeanforderungen nahtlos an. Das beginnt bei einer gesicherten Übertragung und Verschlüsselung von Kommunikation und Daten und reicht über einen je nach entsprechenden Rollen und Aufgaben beschränkten und autorisierten Zugriff bis hin zur datenschutzkonformen Weitergabe und Speicherung von Informationen. Auch hier sind Contact Center mit ihrer Vielzahl personenbezogener Daten und Kooperationsprozesse den zahlreichen Unternehmen, die gerade erst ihr Potenzial für verteiltes Arbeiten entdecken, weit voraus.

Das Spiegelbild: Optimierungen im Contact Center
Vergleichbare Beispiele und Parallelen aus dem Service Center-Alltag ließen sich noch für viele weitere Kommunikationssituationen, technische Ausstattungen und Vorgänge finden. Aber gibt es auch Bereiche, in denen Contact Center aus der aktuellen Situation „lernen“, oder zumindest Anregungen mit auf den Weg ins „New Normal“ nehmen können?

(c) iStock

(c) iStock

Beispielweise, dass es immer anders kommen kann, als erwartet. Hotlines und Kundenservices ist es bewusst, dass sich das Anfrageaufkommen nie gleichmäßig verteilt. Lastspitzen zu bestimmten Tageszeiten, Wochentagen oder zum Monatsende oder -anfang sind bekannt und werden seit jeher in der Planung von Kapazitäten berücksichtigt, ebenso saisonale oder anderweitig planbare Hochzeiten etwa bei der Veröffentlichung neuer Produkte.

Das aktuell herrschende Ausmaß allerdings führt die meisten Business Continuity-Pläne dann doch an ihre Grenzen – erst recht, wenn Abstandsregeln und andere Schutzmaßnahmen die herkömmliche Arbeit im Contact Center-Großraumbüro erschweren oder ganz unmöglich machen. Hier zeigt sich, dass auch weiterhin großes, bislang nicht gehobenes Potenzial in digitalen Lösungen steckt. Wie schnell lässt sich etwa der stationäre Agentenarbeitsplatz an einen anderen Ort im eigenen Gebäude oder sogar nach Hause verlagern? Wie flexibel lassen sich weitere Arbeitsplätze, Netzkapazitäten, Standorte oder externe Fachleute einbinden und anbinden? Auf alle diese Fragen gilt es Lösungen zu finden – die in vielen Fällen auch bereits durchaus verfügbar wären.

Wenn es beispielsweise um die Entlastung der vorhandenen technischen und personellen Kapazitäten geht, tritt wieder einmal das Thema künstliche Intelligenz und Bots auf den Plan: Intelligente Formularsysteme sind etwa in der Lage, eingegebenen Text ebenso wie hinzugefügte Bilder und andere Dateien auf valide Eingaben zu überprüfen. Durch den Einsatz von mit Machine Learning und Deep Learning trainierten Chatbots lässt sich das Volumen zu Standardanfragen weiter reduzieren und gleichzeitig der Service Level erhöhen: Statt sich beispielsweise durch endlose Listen von FAQs oder Anleitungen zu kämpfen, leitet der Chatbot den Anfrager durch intelligente Fragen und Entscheidungen zu den gesuchten Ergebnissen, begleitet digitale Antragsverfahren oder leitet auf Basis erlernter Muster aus früheren Anfragen die besten Lösungsansätze ab. So können sich die verfügbaren menschlichen Agenten um die Anfragen kümmern, die einerseits neue und enorm komplexe Sachverhalte betreffen, oder andererseits einen menschlichen Ansprechpartner benötigen.

Der Faktor Mensch
Dabei ist aber gleichzeitig nicht außer Acht zu lassen, dass die aktuelle Situation auch einen ganz gegenteiligen Aspekt jenseits aller technischen Raffinessen einmal mehr ins Bewusstsein rückt: das Bedürfnis für menschlichen Austausch und menschlichen Kontakt. Gerade Menschen, die derzeit ohnehin im Social Distancing leben und zugleich existenzielle oder gesundheitliche Sorgen haben, die sie nicht zu ihren sonstigen Ansprechpartnern – seien es Freunde, Verwandte oder Servicestellen und Ärzte vor Ort – tragen können, benötigen Ansprechpartner, die nicht nur mit fachlicher Kompetenz und pragmatischen Lösungen überzeugen, sondern ebenso mit Geduld, Verständnis und Einfühlungsvermögen. So müssen sich auch Service-Mitarbeiter in gänzlich anderen Bereichen vermehrt Kommunikationssituationen stellen, die für Agenten an Sorgentelefonen und Notrufen oft leidvoller Alltag sind.

Diese bewegte und in vielerlei Hinsicht noch nicht dagewesen Situation bietet Erschwernisse und Herausforderungen genug. Sie bietet aber auch die Chance, Dinge anders und neu zu betrachten und gemeinsam neue Lösungen für die wachsenden oder veränderten Rahmenbedingungen zu finden. Diese Zeit zwingt dazu, sich auf völlig neue Art und mit einer neuen Dringlichkeit mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Mit einem Thema, das in vielen Bereichen allzu lange als „vielleicht nützlich, aber nicht notwendig“ abgetan oder aufgeschoben wurde. Es bleibt zu hoffen, dass das aktuelle Bewusstsein für die Bedeutung digitaler Transformation, digitalen Lebens und digitalen Wirtschaftens auch über die akute Krise hinaus anhält und etwas dahingehend bewegt, dass wir alle für die Bewältigung vergleichbarer oder gänzlich neuer Herausforderungen der Zukunft noch besser vorbereitet sind.

AUTORIN: Katharina Schug, Head of UC & Contact Center, CONET     http://www.conet.de

 


INTRE_2020_02_Perform_Conet

Verschlagwortet mit , .