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Slukas kuriose Welt des Kundenservice

Zwei Probleme, zwei Herangehensweisen


Robert Sluka, Vize-Präsident des österreichischen Call Center Forums, ist seit mehr als 20 Jahren im Customer Care-Bereich tätig und Kenner der Branche. Aber er ist vor allem eines: selbst Kunde. In unserer Serie „Slukas kuriose Welt des Kundenservice“ gibt der Call Center-Manager des Jahres 2003 lustige Einblicke in seine Service-Erlebnisse. Heute: Lachsfarben und weiß – zwei Probleme, zwei Herangehensweisen.

Obwohl ich digital sehr affin bin, oder zumindest rede ich mir das ein, bin ich was Tageszeitungen betrifft eher „old school“. Ich will eine Zeitung in Händen halten, umblättern und ordentlich lesen. Aktuell habe ich zwei Zeitungsabos beziehungsweise lese zwei österreichische Tageszeitungen regelmäßig. Eine davon ist „Der Standard“ – eine der wenigen Qualitätszeitungen Österreichs. Es gibt die Zeitung seit dem Jahr 1988 und sie hat eine lachsrosa Farbe, weil ihr journalistisches Vorbild die „New York Times“ ist.

Die zweite Zeitung die ich abonniert habe, ist die „Wiener Zeitung“ – nicht lachsrosa, sondern ganz klassisch in weiß gehalten. Was vielleicht auch daran liegt, dass die Tageszeitung schon seit 1703 erscheint. Sie ist die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. Die „Wiener Zeitung“ ist zu 100 Prozent im Besitz der Republik Österreich und finanziert sich auch dadurch, dass es das offizielle Amtsblatt ist. Dies bedeutet, es erscheinen alle Geschäftsänderungen, Jahresabschlüsse der diversen Firmen in der Zeitung! Eine Seite, die ich immer wieder gerne lese, sind die Firmen- und Privatkonkurse. Vielleicht als Mahnung an mich, um es besser zu machen … vielleicht auch teilweise um zu sehen, wer alles mit seiner (oder ihrer) Geschäftsidee baden ging.

Die „Wiener Zeitung“ steht schon länger vor dem Aus, weil die Republik die digitale Veröffentlichung des Amtsblatts vorantreiben will. Dazu gab es vor einiger Zeit sogar eine parlamentarische Anfrage, weil einige das nahende Ende der ältesten Tageszeitung der Welt so nicht hinnehmen wollen. Der damalige österreichische Bundeskanzler erklärte sich für nicht zuständig. Was ein bisschen komisch anmutet, immerhin gehört die Zeitung – wie bereits angemerkt – zu 100 Prozent der Republik Österreich. Aber gut, vielleicht war der Kanzler auch nur abgelenkt, weil er mal wieder auf seinem Handy chattete. Dies hat ihm letztlich auch seinen Job gekostet. Man könnte auch sagen: „Er ist kurz mal zur Seite getreten“. Man könnte aber auch ehrlich von einem kurzen Rücktritt reden.

Wie auch immer. Ich will Sie hier nicht mit der kleinen österreichischen Medienlandschaft langweilen. Ich habe jedenfalls beide Zeitungen im Abo – was bedeutet beide liegen spätestens gegen 5:30 Uhr auf der Fußmatte vor meiner Wohnungstür. Es ist auch immer ein schöner Klang wenn ich im Halbschlaf das Aufklatschen von Papier auf der Fußmatte höre. Bis eines Tages nach Jahrzehnte langer, verlässlicher Zustellung folgendes passierte:

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Schlaftrunken öffne ich meine Wohnungstür – schaue auf meine Türmatte und sehe dort – meine Türmatte und sonst nichts. Die Zeitungen sind nicht da. Es wird doch meinem Zeitungszusteller nichts passiert sein? Ein Tag ohne Zeitungen? Schrecklich!

Wie hieß es schon immer bei „Aktenzeichen XY“: Leider kein Einzelfall. Ein paar Tage später – das gleiche Spiel. Wieder keine Zeitungen! Erst gegen Abend bemerke ich, dass der Zusteller sie einfach in meinen Postkasten im Erdgeschoß geworfen hat. Ich wohne im zweiten Stock – mit Lift! ‚Fauler Sack‘, denke ich bei mir. Einmal kann so etwas ja vielleicht mal passieren. Bei Zweimal wird es schon fast zur Gewohnheit und ich spüre das heranziehende Unglück.

Ich kontaktiere also per E-Mail die Aboservices beider Zeitungen. Mit fast identischem Text schreibe ich, wie ärgerlich ich das finde und sie mögen doch bitte wieder zur alten Zustellqualität zurückkehren. Der Aboservice der „Wiener Zeitung“ antwortet noch am selben Tag rasch, kurz und schmerzlos:

 

Lieber Hr. Sluka,
Ich habe Ihre Reklamation an unsere Zustellorganisation weitergeleitet. Es wurde eine Kontrolle der Zustellung angefordert.
Ich hoffe Ihnen hiermit gedient zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen

Vom „Standard“-Aboservice erhalte ich gleich nach dem Versenden der Mail eine automatisierte Antwort:

 

Liebe Standard-Leserin, lieber Standard-Leser,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Wir haben aktuell ein erhöhtes Aufkommen an Kundenanfragen und bitten daher um Verständnis, falls es zu längeren Wartezeiten kommt.
Wir werden Ihre Anfrage schnellstmöglich bearbeiten und beantworten.
Erhöhtes Aufkommen ist der Kundenausdruck für „wir haben aktuell den Arsch auf Grundeis und jetzt nervst Du auch noch mit Deiner E-Mail“.

Ich bin schon lange dabei in dem Geschäft – ich kenne mich aus. Überrascht bin ich dann aber schon, als ich am nächsten Tag und knapp über 24 Stunden nach dem Abschicken meiner E-Mail folgende Antwort des „Standard“ erhalte:

Sehr geehrter Herr Sluka,
vielen Dank, dass Sie sich an uns wenden.
Wir haben unserem Zustellunternehmen den Ausfall sofort gemeldet. Die nicht erhaltenen Ausgaben werden bei der nächsten Rechnungslegung als Gutschrift berücksichtigt.
Wir bitten um Verständnis, dass wir auf Ihre Information im Falle eines Zustellausfalles angewiesen sind. Andernfalls gehen wir vom reibungslosen Erhalt aus, da wir abgesehen von großflächigen Ereignissen keine proaktive Einzelrückmeldung erhalten.
Falls die Zustellung Ihres Standard wider Erwarten weiterhin nicht zu Ihrer Zufriedenheit erfolgen sollte, bitten wir Sie, sich erneut mit uns in Verbindung zu setzen.
Vielen Dank für Ihre Mithilfe!
Mit freundlichen Grüßen

Immerhin zwei Ausgaben werden bei der nächsten Rechnungslegung berücksichtigt. Okay, ich zahle mein Abo einmal jährlich. Ob mir hier die Gutschrift überhaupt auffallen wird? In den Tagen darauf wird die Sache wieder einmal spannend. Einmal liegen die Zeitungen auf der Türmatte meiner Nachbarin. Im halbnackten Zustand über den Gang zu huschen und seine Zeitungen „zurückzustehlen“, ist nicht lustig. Dann kommt die Zeitung wieder erst gegen Mittag und, und, und.

Nachdem die Aboservice-Mitarbeiter meine Beschwerde ja bereits an den Zusteller weitergegeben haben, nehme ich das Heft selbst in die Hand, recherchiere den Zusteller, werde bei einem Unternehmen namens „Redmail“ tatsächlich auch fündig und schreibe eine Beschwerdemail. Die Antwort kommt sehr schnell:

 

Guten Morgen Herr Sluka!
Die Zustellung des „Standard“, sowie der „Wiener Zeitung“ wird mit dem Zustellpartner abgeklärt und sollte ab spätestens morgen wieder verlässlich vor ihre Wohnungstür erfolgen.
Sollte es dennoch wider Erwarten zu weiteren Zustellmängeln kommen, bitte ich Sie sich erneut mit uns in Verbindung zu setzten, sodass die Zustellung zu ihrer Zufriedenheit in Ordnung gebracht werden kann.
Mit freundlichen Grüßen

Schön, dass selbst die Zustellfirma noch Subfirmen beziehungsweise Zustellpartner hat, an die sie das weitergeben können. Ich überlege wirklich, ob ich meinen Zusteller nicht auflauern soll und ihn (?) oder sie (?) persönlich zur Rede stellen soll. Ich verwerfe den Gedanken – vielleicht schickt der Zusteller auch wieder nur einen Zustellpartner und liefert gar nicht selbst.

Die Zustellung klappt in den Tagen danach immer noch nicht! Ich überlege kurz, eine dringliche parlamentarische Anfrage einzubringen. Ich möchte, das Zeitungszusteller in die Liste der systemrelevanten Berufe aufgenommen werden.

Ich schreibe wieder an den Zusteller „Redmail“. Deren Werbeslogan lautet übrigens: „Redmail bringt´s.“ ‚Ja, aber nicht immer‘, denke ich so bei mir. Jedenfalls bringt die Antwort von des Zustellers endlich mal etwas Licht ins Dunkel:

 

Guten Morgen Herr Sluka.
Leider gab es heute einen Tourausfall in dem Gebiet, dem Ihre Adresse zugeordnet ist. Dadurch hat sich die Zustellung bis ca. 10 Uhr verzögert. Der Zustellpartner wurde allerdings noch einmal auf die pünktlich Zustellung hingewiesen, sofern es in seiner Macht liegt.
Bitte informieren Sie uns gerne, sollte die Zustellung in den nächsten Tagen erneut nicht in der gewohnten Qualität erfolgen und wir bemühen uns, die Zustellmängel zu beheben.

Na immerhin. Die Formulierung „Der Zustellpartner wurde … noch einmal auf die pünktlich Zustellung hingewiesen, sofern es in seiner Macht liegt“, klingt süß. So ein bisschen wie eine Abmahnung im „Du! Du! Dass das bloß nicht wieder vorkommt. Bemüh‘ Dich doch mal  ein bisschen“-Stil!

Ich kontaktiere also wieder die Aboservices von „Wiener Zeitung“ und „Standard“ – sollen beide ruhig auch erfahren, wie schlecht es um deren Zustellung bestellt ist. Die „Wiener Zeitung“ verspricht erneut, es an die Zustellfirma weiterzugeben. Der „Standard“ hingegen überrascht mit plötzlich und aus dem Nichts heraus aufbrandender Kundenempathie:

Sehr geehrter Herr Sluka,
wir wissen es sehr zu schätzen, dass der Standard sein Dasein durch treue Leser wie Sie bisher erhalten konnte und möchten Ihnen unsere Wertschätzung und unseren Dank aussprechen.
Die gehäuften Lieferausfälle Ihres Standard habe ich mit Nachdruck bei der Gebietsleitung zur Sprache gebracht. Der Grund liegt, wie vermutet, in einem personellen Engpass. Alle Tageszeitungen und ihre Vertriebspartner sitzen hier in einem Boot, denn die Existenz aller Beteiligten ist von einer zuverlässigen und zeitgerechten Hinterlegung abhängig.
Es ist uns sehr unangenehm, dass Sie hier der Leidtragende sind. All unser Bemühen hier Abhilfe zu schaffen, sichere ich Ihnen zu.
Die Gebietsleiter würden mehr dauerhaftes Personal einstellen, wenn dieses verfügbar wäre, die hohe Fluktuation der Zusteller und die vielen Ersatzkräfte bieten leider viel Raum für Irrtümer.
Was kann ich sonst noch tun?

Wäre es eine Option für Sie, wenn ich neben all meinem Bemühen, Ihnen auch das E-Paper des Standard kostenfrei aktiviere und Ihnen Ihren Standard einen Monat kostenfrei liefern lassen würde?
Ich hoffe auf Ihre Antwort. Ihre Verbundenheit zum Standard ist unser höchstes Gut.
Bleiben wir in Kontakt!

Ich bin überrascht – fast sprachlos. Ich hatte eigentlich mit einer weiteren „Wir haben es weitergegeben“-Info gerechnet. Zeit also, ähnlich empathisch zurückzuschreiben:

 

Sehr geehrte Frau XYZ,
Danke für Ihre herzliche E-Mail!
Da ich selbst im Kundenservice tätig bin, weiß ich wie schwierig es ist, Kundenzufriedenheit zu erreichen und auch zu halten. Die Lieferschwierigkeiten sind mir bewusst. Ich stehe auch schon mit Redmail in Kontakt weil ich – ich muss es gestehen – auch die „Wiener Zeitung“ abonniert habe und die Lieferschwierigkeiten gleich bei zwei Zeitungsabos treffen.
Hier muss ich Ihren Bemühungen aber gleich ein Lob aussprechen. Die „Wiener Zeitung“ hat mich nur informiert, dass sie es an den Zustelldienst weitergegeben haben.
Insofern hat mich Ihre E-Mail sehr gefreut. Das E-Paper-Abo ist nett gemeint. Obwohl ich sehr digitalaffin bin, bin ich was meinen Standard betrifft ,aber mehr der analoge, haptische Typ. Ich brauche das (ist es eigentlich noch lachsrosa?) Papier, den Geruch. Der kostenfreie Bezugsmonat freut mich hingegen sehr und dieses Angebot nehme ich sehr gerne an!
Danke!
Ihr treuer Leser und Abonnent
Robert Sluka

Die Antwortmail des „Standard“-Aboservice lässt nicht lange auf sich warten:

Sehr geehrter Herr Sluka,
es ist an mir, mich bei Ihnen für Ihre verständnisvollen und anerkennenden Worte zu bedanken, diese bedeuten uns viel.
Gerne richte ich Ihnen einen kostenfreien Liefermonat Ihres Standard ein, sodass die nächste Verrechnung nicht Anfang Dezember 2021 sondern erst im Jänner 2022 erfolgen wird.
Bitte wenden Sie sich jederzeit direkt an mich, all unser Bemühen sichere ich Ihnen weiter zu.

Da hat wer verstanden wie es richtig geht! Aus einem negativen Erlebnis einen begeisterten Kunden generieren. Das sollte immer das Ziel sein. Die Zustellung der Zeitungen klappt seit diesem Zeitpunkt übrigens wieder tadellos!

 

**Slukas Kuriose Welt des Kundenservice erscheint regelmäßig im CallCenter Profi. Hier geht´s zur Original Veröffentlichung.


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