(c) Katharina Schug, Head of UC & Contact Center, Conet

Agilität im Contact Center – Kanban und Scrum.

Agilität ist ein Zauberwort des modernen Wirtschaftens. Meist wird sie aber eher mit Produktions- oder Entwicklungsprozessen verbunden als mit der Arbeit im Contact Center. Zu Unrecht, denn wenn auch selten so genannt, sind agile Ansätze doch auch im Call-Center-Alltag angekommen. Und es lohnt sich, sie weiter auszubauen.


Längst vorbei sind in den allermeisten europäischen Contact Centern zum Glück die Zeiten des früher weit verbreiteten Ruderbank-Systems. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch die Arbeit im Kundenservice anders strukturiert werden muss als durch möglichst schnelles Abarbeiten von Calls unter Zeit- und Leistungsdruck. So hat eine Reihe von neuen Arbeitsweisen und Organisationsmustern in der Call-Center-Welt Einzug gehalten. Mit Kanban und Scrum beleuchten wir zwei Agilitätsmethoden, die eine noch intensivere Verankerung im Kundenservice verdienen.

Kanban – visuelle Prozessdarstellung und gesteigerte Eigenverantwortung
Die Kanban-Methode ist ursprünglich bei Toyota zum Einsatz gekommen, um Prozesse in der Just-in-Time-Fertigung mit Rücksicht auf Lager- und Produktionskapazitäten zu optimieren und stetig zu verbessern. Anhand farbiger Karten werden anstehende Aufgaben im Backlog, derzeit bearbeitete Aufgaben in Work in Progress und erledigte Aufgaben im Status Completed unterschieden. In individuellen Prozessen wie etwa im Contact-Center-Umfeld können weitere Stufen wie die Rücksprache mit dem Kunden oder die Hinzunahme externer Service-Ressourcen diese Workflow-Stufen weiter unterteilen.

Horizontale sogenannte Swimlanes bieten sich an, um beispielsweise unterschiedliche Service Level und Kritikalitäten zu unterscheiden. Mitarbeiter oder Teams übernehmen einzelne Aufgaben und überführen sie Schritt für Schritt in den nächsten Bearbeitungsstatus.

Dabei darf sich zu jeder Zeit nur eine festgelegte Höchstzahl an Karten – also Aufgaben – in jedem der verschiedenen Bearbeitungsstufen befinden, um Kapazitäten gleichmäßig aus- und nicht zu überlasten und die Übersichtlichkeit zu gewährleisten.

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Ein Bild sagt mehr …
Kanban ist also im Kern eine Methode, um Aufgaben und Arbeitsabläufe visuell anstatt textbasiert zu steuern und hilft Mitarbeitern und Management gleichermaßen, einen besseren Überblick über Tasks und deren Fortschritt ebenso wie die Auslastung zu erhalten. Dass Menschen visuelle Darstellungen über Farben und Bilder leichter erfassen und schneller verarbeiten als in reiner Textform, ist in vielfachen Studien belegt. So nimmt der Mensch 70 % bis 95 % aller Informationen durch visuelle Wahrnehmung wahr und das menschliche Auge kann visuelle Muster in einem Bild 65.000-mal schneller sehen als etwa in Tabellenform. Nicht umsonst sind farbliche Ampel-Darstellungen in Zustandsmeldungen allgegenwärtig.

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Kanban geht darüber weit hinaus. Neben der rein farblichen Gestaltung von Zuständen sind auch inhaltlich farbliche Kodierungen möglich. Im Contact-Center-Umfeld können dies neben Kritikalität und Priorität der Anfragen etwa auch inhaltliche Aspekte sein, wie Kategorien (Produkt-/Service-/Preisanfragen), inhaltliche Schwerpunkte (auf welche Produkte oder Leistungen bezieht sich die Anfrage) oder deren Komplexität.

Kanban ist im Kern eine Methode, um Aufgaben und Arbeitsabläufe visuell anstatt textbasiert zu steuern und hilft Mitarbeitern und Management gleichermaßen, einen besseren Überblick über Tasks und deren Fortschritt ebenso wie die Auslastung zu erhalten.

Die Visualisierung des Workflows und der Bearbeitung entlang der Status einzelner Aufgaben macht Abläufe klarer und nachvollziehbarer als auf klassischen Call Center Wallboards – inklusive möglicher Blockaden, Engpässe oder Wartschlangen. Diese Sichtbarkeit führt fast automatisch zu mehr Zusammenarbeit und Austausch. Durch die Begrenzung der Anzahl von Aufgaben in jedem Status wird Überlastung und ständig neues Priorisieren vermieden, die Durchlaufzeit insgesamt verkürzt sich. Zudem lassen sich bestimmte Statuswechsel in der Bearbeitung an festgelegte Bedingungen knüpfen, die dafür sorgen, dass Arbeitsschritte, Formalien oder Abstimmungen nicht übersehen oder übergangen werden. Analysen der Durchlaufzeiten in Verbindung etwa mit Art, Komplexität, Qualität und Auslastung bilden die Basis für weitere Prozessverbesserungen.

Eigenverantwortung stärken
Kanban kann aber noch mehr, als eine bunte Version eines Arbeitsablaufs darzustellen. Ein weiterer wichtiger Eckpfeiler der Methode ist die Betonung von Eigenverantwortung der Mitarbeiter: Anstelle einer Zuweisung des nächsten Calls an den nächsten freien Agenten – entweder automatisiert oder über einen Dispatcher oder Supervisor – können diese selbst entscheiden, welche Aufgabe sie als nächstes übernehmen und führen diese dann durch die Bearbeitungsschritte. Die farbliche Kennzeichnung erleichtert es den Mitarbeitern, die ihren Fähigkeiten, Erfahrungen und Vorlieben entsprechenden Aufgaben auf einen Blick zu erkennen und diese zu übernehmen.

Dies nutzt letztlich der Effizienz im Contact Center ebenso wie der Zufriedenheit der Agenten, denn geeignete und gemochte Aufgaben werden naturgemäß schneller und qualitativ besser bearbeitet als Aufgaben, die den Agenten überfordern, unterfordern oder ihm aus anderen Gründen Unbehagen bereiten. Letztlich wirken sich diese verbesserten Abläufe dann ebenso unmittelbar auch auf die Kundenzufriedenheit aus.

Aber führt dies nicht dazu, dass Agenten dazu tendieren, stets die einfachsten Aufgaben zu übernehmen und die schwierigen Anfragen liegen zu lassen? Die Praxis zeigt, dass dies in der Regel keineswegs der Fall ist. Wird Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung und Einflussnahme auf die Art der eigenen Aufgabenerfüllung zugestanden, so werden sie dazu tendieren, sich dieser Verantwortung auch bewusst zu werden, und motiviert sein, ihre bestmögliche Leistung zu liefern.

Dies steht dann eben auch ganz im Gegenteil zum klassischen Ruderbank-System: Wird bei diesem nämlich die Mitarbeiterleistung ausschließlich quantitativ anhand von durchschnittlichen Bearbeitungszeiten oder der Anzahl bearbeiteter Calls bewertet, ist die Tendenz sogar größer, aufwendige Arbeiten zu meiden oder qualitativ mittelmäßige Lösungen zu erbringen, um „den eigenen Schnitt zu machen“.

Gerade angesichts der Tatsache, dass einfache Anfragen zunehmend standardisiert oder über Bots automatisiert bearbeitet werden, ist es umso wichtiger, die Know-how-Ressourcen und Expertise der Agenten zielgerichtet bei den
Anfragen einzusetzen, für die sie optimal qualifiziert sind.

Agile Methoden bieten sogar mehr Struktur als klassische Ansätze, nur dass diese Strukturen zugleich eben noch flexibler und anpassungsfähiger und durch das Prinzip der Teilhabe aller Beteiligten zudem motivierender sind.

Scrum – aktive Beteiligung, kontinuierliche Verbesserung und Flexibilität
Eine weitere Methode, die ursprünglich aus der Software- Entwicklung stammt, lohnt eine nähere Betrachtung für das Contact-Center-Umfeld. Scrum versteht sich als Gegenentwurf zum klassischen Anweisungsmanagement, in dem Mitarbeiter möglichst genaue Arbeitsanweisungen erhalten, und betont ebenfalls Eigenverantwortung, Kreativität und Potenzial der Mitarbeitenden. Zwei wesentliche methodische Elemente sind hier die täglichen Daily Scrum Standups und die Scrum Retrospectives als Rückschauen auf die zurückliegende Arbeitswoche.

Tägliche Meetings zur Besprechung anstehender und laufender Aufgaben und der Organisation sind in Form von Daily Huddles auch im Call-Center-Alltag vielerorts bereits verwurzelt. Manchmal aber haben sie den Charakter von Frontalveranstaltungen, in denen Teamleiter oder Center Manager ihre Sicht erledigter und anstehender Aufgaben schildern – meist auf der Basis vorhergehender Diskussionen unter Supervisoren und Team Managern zu notwendigen KPI-orientierten Veränderungen oder Anpassungen. Nach den zuvor geschilderten partizipativen Grundlagen agiler Arbeitsweisen unter Einbeziehung der Beteiligten und einem erhöhten Maß an Eigenverantwortung ist hier augenscheinlich, dass dieser Ansatz der modernen Arbeitswelt nicht gerecht wird. Klar ist aber auch, dass diese Art der Zusammenarbeit nicht böswillig verordnet wird, sondern zumeist dem hohen Leistungs- und Ergebnisdruck im Service Center generell geschuldet ist. Benötigt werden also Formate zu Austausch und Kommunikation unter allen Beteiligten, die die Ideen und das Engagement aller Beschäftigten nutzbar machen, ihre Motivation steigern und sich zugleich im zeitlichen und organisatorischen Aufwand mit dem Contact-Center-Arbeitsalltag vereinbaren lassen.

Daily Scrum Standup
Der tägliche Scrum Standup kann ein solches Format bilden. Strikt auf eine Dauer von maximal 15 Minuten begrenzt, verbindet er den üblichen Statusbericht des Contact Center Managements mit der interaktiven Einbeziehung des Teams. Einzelne Agenten – oder in größeren Strukturen einzelne Teams – stellen ihre eigenen Ergebnisse des Vortags, die Vorhaben des aktuellen Tages und mögliche Hindernisse vor. Anschließend werden gemeinsam Aufgaben zugewiesen oder bei Bedarf umverteilt. Auch hier spielt die Visualisierung übrigens eine wichtige Rolle, um den Überblick zu behalten und zu verhindern, dass wichtige Aspekte übersehen oder übergangen werden.

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Scrum Retrospective
Ein weiteres nützliches Format können regelmäßige gemeinsame Rückschauen im Scrum-Stil sein. Controlling, Reviews und notwendige Anpassungen, um die eigenen Ziele im Kundendialog und Service besser zu erreichen, sind für Contact Center natürlich auch nicht neu. Anders ist in Scrum Reviews aber auch hier der auf alle Teammitglieder und Leitungsfunktionen erweiterte Teilnehmerkreis ebenso wie der erweiterte inhaltliche Rahmen auf alle relevanten Arbeitsbereiche von KPI-orientierten Leistungsbewertungen und internen Abläufen bis hin zu besonderen Maßnahmen und Ereignissen im Arbeitsalltag. Anhand der drei zentralen Fragestellungen „Was lief gut“, „Was lief weniger gut“ und „Was können wir verbessern“ findet ein offener Dialog statt, der erneut Kreativität und Eigeninitiative fördert.

An die Stelle einer rein leistungs- und statistikgetriebenen Bearbeitung von Anfragen tritt eine deutliche Identifikation von Agenten und Supervisoren gleichermaßen mit ihren Aufgaben. Dadurch richten sie ihren Blick wieder verstärkt auf das eigentliche gemeinsame Ziel: die Optimierung interner Arbeitsweisen nicht als Selbstzweck, sondern als Voraussetzung für einen verbesserten Kundenservice und damit als Bestandteil einer erhöhten Kundenzufriedenheit.

Scrum versteht sich als Gegenentwurf zum klassischen Anweisungsmanagement, in dem Mitarbeiter möglichst genaue Arbeitsanweisungen erhalten, und betont ebenfalls Eigenverantwortung, Kreativität und Potenzial der Mitarbeitenden.

Formalisierte Agilität?
Agilität bedeutet Beweglichkeit. Aber nichtsdestotrotz ist eine Institutionalisierung von Methoden wie Scrum und Kanban und damit eine gewisse „agile Disziplin“ zugleich einer der schwierigsten Aspekte in der Einführung, aber auch ein wesentlicher Erfolgsfaktor derartiger Methoden.

Denn oft werden die Vorteile grundsätzlich agiler Ansätze ja gar nicht bestritten. Sie werden allerdings nur sporadisch als wöchentliche Regelabstimmungen oder Feedbackangebote umgesetzt – und sobald es im Arbeitsalltag hektisch wird, werden diese dann allzu oft verschoben oder gestrichen: Ihre Wirkung als strukturierende und motivierende Organisationselemente verpufft.

Werden agile Methoden allerdings konsequent verankert und verfolgt, so zeigt sich bald, dass Agilität alles andere als Chaos und Anarchie ist. Im Gegenteil: Agile Methoden bieten sogar mehr Struktur als klassische Ansätze, nur dass diese Strukturen zugleich eben noch flexibler und anpassungsfähiger und durch das Prinzip der Teilhabe aller Beteiligten zudem motivierender sind.


Autorin: Katharina Schug, Head of UC & Contact Center, CONET

www.conet-communications.de


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