Junokai Tipp der Woche KW 28 – 2023

Konflikte heben in agilen Teams


Einleitung: Agile Management und agile Teams

Agiles Management kann als Oberbegriff gedeutet werden für Methoden, Modelle und Werkzeuge, die die Reaktions- und Anpassungsfähigkeit von Systemen verbessern. Dieser Fokus auf Komplexitätsfähigkeit löst das bisherige Effizienz- und Leistungsdenken nicht ab, sondern beschreibt zusätzliche notwendige Fähigkeiten.

Dem agilen Zusammenarbeiten nach diesen Prinzipien wird viel Positives zugeschrieben: Aufgabenorientierung an Kundenbedürfnissen, schnelle Lernkurven, Vertrauenskultur, Innovationskraft und vieles mehr. Es wird davon ausgegangen, dass Teams, die sich untereinander gut verstehen auch bessere Arbeitsleistung erbringen.

So werden persönliche Befindlichkeiten der Teammitglieder in check-ins vor Beginn von Arbeitsbesprechungen regelmäßig beleuchtet, um Störungen der Arbeitsfähigkeit zu identifizieren.

Mit Fragen wie „Worüber habe ich mich heute Morgen gefreut“ oder „Wie geht es mir aktuell“ sollen Anspannungen transparent gemacht und ein vertrauensvoller Raum geöffnet werden.

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Dennoch wird es in Unternehmen immer systemimmanente Spannungsfelder aufgrund von knappen Ressourcen (Zeit, Qualifikationen, Geld) oder Zieldilemma wie Kosteneinsparungen versus Investitionsnotwendigkeiten geben, die durch agile Organisationsformen nicht aufgehoben werden können.

Konflikte im Agilen Management

Konflikte im agilen Management haben eine besondere Konfliktdynamik, da sie nicht hierarchisch gelöst werden. Zudem existieren oft alte hierarchische und neue Systeme parallel zueinander und führen zu erhöhter Verunsicherung.

Traditionell delegierten Teammitglieder die Klärung von Streitigkeiten an Führungskräfte, die die Probleme stellvertretend lösen sollten. Im agilen Management nehmen Product Owner und Scrum Master die Eskalationen nicht mehr an. Maximal moderieren sie die Klärung. Es gibt keine/n Hierarchin/Hierarchen mehr, die/der das Machtwort spricht, um Entscheidungen zu treffen.

Oft sind die Befugnisse und Grenzen bei der Durchsetzung fachlicher Aufgabenverantwortung in den Rollenbeschreibungen Product Owner oder Scrum Master nicht klar festgelegt. Bei wechselnden Projekten können zudem die Rollen der Rolleninhaber:innen wechseln. Es fehlt eine eindeutige, langfristig an Personen gebundene Machtzuschreibung.

In diesem Spannungsfeld besteht eine besondere Herausforderung darin, unternehmerische Zielkonflikte angemessen zu diskutieren und sie nicht zu personalisieren.

Die Retrospektive – Konflikte heben im agilen Management

Wie können in dieser Form der Arbeitsorganisation Konflikte geklärt werden, ohne die Autonomie der Teams zu gefährden und das mögliche Potenzial der Selbstorganisation im Keim zu ersticken?

Im Fokus steht dabei die Rolle des Scrum Master: Diese/r sorgt für den reibungslosen Ablauf des Arbeitsprozesses, fördert und optimiert die Zusammenarbeit, beseitigt Hindernisse im und ums Team.

Ein wiederkehrendes durch die/den Scrum Master moderiertes Ritual, um Barrieren und Spannungen der Zusammenarbeit zur Sprache zu bringen, ist die Retrospektive. In diesem Forum sind alle Teammitglieder gefordert, mit Mut und Offenheit über unangenehme Themen im Prozess der Zusammenarbeit zu sprechen. „Das Grundprinzip einer Retrospektive kann wie folgt beschrieben werden: Unabhängig von dem, was als Verbesserungsnotwendigkeiten erkannt wird, ist die Grundeinstellung, dass jeder sein oder ihr Bestes gegeben hat, unter Berücksichtigung des Timings, seiner oder ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen, der zur Verfügung stehenden Mittel und der Situation.

Das Ziel liegt darin, die positiven Teamaspekte zu betonen und kontinuierlich nach Verbesserungspunkten zu suchen. Standardgemäß erfolgt eine Retrospektive entlang der folgen Fragen:

  • Was haben wir so gut gemacht, dass wir darüber reden müssen, um es nicht zu vergessen?
  • Was haben wir gelernt?
  • Was müssen wir künftig anders machen?
  • Was haben wir noch nicht verstanden?

Im Rahmen der Retrospektiven könnte für die/den Scrum Master die (Team-)Mediation ein niederschwelliges Angebot der innerbetrieblichen Konfliktbearbeitung darstellen.

Intrapersonelle Konflikte könnten so geklärt werden, strukturelle Konflikte des agilen Managements offengelegt und sich wiederholende Konfliktmuster erkannt werden.

Ein Lernprozess im Team, zwischen Teams und im Unternehmen würde methodenbasiert angestoßen werden.

Insbesondere die folgenden Grundsätze der Mediation erscheinen mir geeignet, um in Retrospektiven aus der Rolle der/des Scrum Masters heraus aktuelle Schwierigkeiten klar, aus verschiedenen Perspektiven und lösungsorientiert anzusprechen:

  • Blickwinkel der humanistischen Psychologie: Menschen wollen anderen Menschen grundsätzlich nicht schaden, sie handeln eigenverantwortlich und besitzen. Entscheidungsfreiheit. Respekt und Wertschätzung führt zu wahrgenommener Anerkennung und Akzeptanz und stärken so die Persönlichkeit des/ der anderen.
  • Kategorisierung der Konfliktart zur systematischen Klärung: Handelt es sich um einen Rollen- und/oder Ressourcenkonflikt? Um einen Persönlichkeits- und/oder Beziehungskonflikt-, oder um einen Kommunikations- und/ oder Strukturkonflikt etc.
  • Bei der Konfliktklärung im Gespräch mit den Parteien, die Grundhaltung der vier A’s:
    • Allparteilichkeit: für alle Parteien ein achtsamer Zuhörer und Akteur sein.
    • Akzeptanz: die Person des Menschen wertfrei annehmen.
    • Anerkennung: die Bemühungen der Streitparteien zur Schlichtung werden gewürdigt.
    • Affirmation: positive Grundhaltungen und Annäherungen werden bestätigt.
  • Eine Orientierung am Phasenablauf im Klärungsgespräch:
    • Vorphase (zur Retrospektive) mit Vorgesprächen und begleitender Beobachtung der Teamdynamik.
    • Sammlung von Themen während der Retrospektiv.
    • Moderation der strukturierten Darstellung des Konflikts durch die jeweilige Konfliktpartei mit dem Ziel, Komplexität zu reduzieren.
    • Erhellung mit Perspektivwechsel und aktivem Zuhören (Kommunikationslöcher stopfen).
    • Vereinbarung mit Maßnahmen und Umsetzungsplan (wer-was-wann-mit wem).

Mein Tipp:

Über Sie Geduld und holen Sie sich Kompetenz ins Team, um Instrumente des agilen Managements einzuführen.

Orientieren Sie sich bei der Führung Ihrer Mitarbeiter:innen an den Denkmodellen der humanistischen Psychologie, bspw. von Viktor Frankl, Martin Buber oder Marshal Rosenberg.

Bleiben Sie aber realistisch, denn die Spielregeln des Wachstumskapitalismus und die kurzfristige Rentabilität bleiben meist bestimmende Paradigmen bei der Führung von Unternehmen.

Achten Sie deshalb beim Heben von Konflikten in agilen Settings besonders auf kalte Konflikte: Zynismus oder passiver Widerstand gegen Instrumente des agilen Managements können fachliche Einigungen behindern.

Bilden Sie Scrum Master:innen und Führungskräfte als Mediator:innen aus. So werden Spannungsfelder besser erkannt und die so entstehenden Konflikte strukturiert zur Sprache gebracht. Er (oder sie) wird im agilen Miteinander Wege finden, um zwischenmenschliche Auseinandersetzungen im Arbeitsalltag den Konfliktparteien verständlich zu machen. Dabei wird sie/er agile Arbeitsformen kritisch reflektieren und so mit sich im Reinen bleiben können.

Sie/er wird mit der Haltung der Mediation Menschen in agilen Teams Optionen öffnen, wird Konflikte bewegen und Menschen helfen, Möglichkeiten der Veränderung zu entdecken.

Sebastian Schmidt – Senior Consultant

junokai


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