Call-Center-Wachstumsbremse: der Kampf um Chefs!

Service gewinnt als direkte Schnittstelle zum Kunden weiter an Bedeutung. Laut der aktuellen PxW Studie „Customer Service & Engagement“ wächst der Markt jährlich um knapp 5 %. Gleichzeitig erleben wir einen eklatanten Führungskräftemangel. Und der hat auch, aber nicht nur mit Demografie zu tun. Laut Angaben von Prognos fehlen uns bis 2030 7,6 % geeignete Bewerber für das obere Management. Bis 2035 steigt die Zahl auf 8,6 %. Das ist Demografie.


Erschwerend schrumpft das Potenzial an Top-Managern in der D-A-CH Region durch:

International abgehangen

Der Customer-Experience-Ansatz setzt sich weltweit seit Jahren als Erfolgsmodell für positive Kundenerlebnisse durch. Adobe, Amazon, Netflix oder Apple stehen für das Silicon Valley des CX. In unserer Region fällt mir gerade mal das Schweizer Unternehmen Nestlé als CX-Vorbild ein. Der nächste große Trend „Gig Customer Service“ (GigCX) wird ebenfalls aus den USA getrieben. Die digitale Transformation etabliert sich insbesondere in der deutschsprachigen Region nur zögerlich.

Wir, vom Erfolg verwöhnten Zentraleuropäer, denken immer noch zu sehr als Industrienation. „Products made in Germany“, Spaltmaß und DIN-Normen sind unsere von Innenansicht geprägte Denke. Digitalisierung wird als feine Sache gesehen. Dabei ist die Digitalisierung nicht nur ein Trend. Digitalisierung ist eine grundlegende Veränderung unserer Gesellschaft. Das Ausmaß der globalen Umwälzungsprozesse schätzen Experten gravierender ein als jene während der Industrialisierung.

Wenn wir den digitalen Wandel verschlafen, verlieren wir an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Und die entscheidet darüber, wo Arbeitsplätze entstehen!

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Führungsverantwortung nicht gewünscht

Laut einer Umfrage von Manpower wollen 87 % der 20- bis- 34-Jährigen in Deutschland nicht in die Top-Etage aufstreben. International scheuen rund 78 % der Millennials die Übernahme einer Führungsverantwortung.

Vielen ist Selbstverwirklichung wichtiger als Karriere. Mit tollen Leuten zusammenarbeiten, einen positiven Beitrag zum Ganzen leisten oder auch eher ein Experte werden, sind die obersten Prioritäten.

„Old school“ Führungskräfte

Das alte System passt einfach nicht mehr. Doch den Sprung vom Vorgesetzten zur Führungskraft schaffen einfach einige ältere Führungskräfte nicht. Geteiltes Wissen löst Silodenken ab. Mitbestimmung statt Vorgaben. Mitarbeiterorientierung statt Hierarchie. Kooperative Prozesse statt Kontrolle.

Wer immer noch glaubt, als Vorgesetzter ist er King – statt Dienstleister für Mitarbeiter – fällt als potenzielle Führungskraft für den notwendigen digitalen Wandel schlichtweg aus.

 

Digitalisierung ist eine grundlegende
Veränderung unserer Gesellschaft.

 

Und so sieht es auf dem Schlachtfeld aus

Ein wohl guter Indikator ist der Blick auf die Personalberater-Branche. Die jüngst erschienene Studie „Personalberatung in Deutschland 2022“, vom BDU (Bundesverband Deutscher Unternehmensberatungen) publiziert:

„Längst hat sich der Arbeitsmarkt zu einem Kandidatenmarkt entwickelt. Trotz fortschreitender Digitalisierung und eigener Recruiting-Aktivitäten gelingt es Unternehmen immer seltener, offene Vakanzen im Führungskräfte- und Spezialistenbereich selber, das heißt ohne externe Spezialisten, zu besetzen. Diese Entwicklungen haben zu einem Umsatzwachstum in der Personalberatung von plus 17 Prozent beigetragen… und steht gleichzeitig für das höchste Wachstum in den letzten zehn Jahren… Der enge Bewerbermarkt hat jedoch auch dazu geführt, dass es für Personalberater/innen zunehmend schwerer geworden ist, qualifizierte Bewerber/innen für einen Jobwechsel zu gewinnen. Sowohl die durchschnittliche Dauer (12,2 Wochen) als auch die Zahl der im Laufe des Mandats kontaktierten Personen (rund 110) sind spürbar gestiegen.”

In einer meiner Diskussionsrunden mit einem Kollegen erzählte er mir von einem Mandat, bei dem er seit über einem Jahr auf der Suche ist. Auch ich muss meinen Kunden eher Monate als Wochen für die Besetzung einer offenen Vakanz in Aussicht stellen.

Am ehesten knirscht es in den Bereichen, wo Führung ein hochsensibles Thema für die Motivation und qualitative KPIs sind: im operativen Call Center Business. Hier kollidiert der Bedarf an physischer Präsenz seitens der Arbeitgeber mit den Anforderungen der Führungskräfte.

Diese wollen die Möglichkeit haben, aus dem Homeoffice heraus zu arbeiten, in ihrem bisherigen persönlichen Umfeld bleiben und möglichst nicht den Wohnort wechseln. Was insbesondere die Besetzung von Vakanzen in strukturschwachen und kleinen bis mittleren Städten erschwert.

Oftmals sind Arbeitgeber bereit, mehr Gehalt zu zahlen. Doch mögliche, mit dem Jobwechsel verbundene Gehaltssprünge sind immer seltener der ausschlaggebende Faktor für einen Wechsel.

 

In der Praxis verrohen
Talentpools zu Datenbanken
mit Datenleichen.

 

Was tun?

Die eine Lösung gibt es nicht. Top-Chefs für morgen finden und binden ist ein Potpourri an Maßnahmen. Neben der Notwendigkeit, alles dafür zu tun, gute Führungskräfte erst gar nicht zu verlieren, sehe ich die größte Chance in der Nachwuchsförderung. Individuelle Programme, um mehr Frauen, Ältere und vor allem junge Talente systematisch an Führungsthemen heranzuführen.

Mit rund 34 % der befragten Unternehmen, die bereits systematisch Frauen in der Führungskräfte-Nachwuchsförderung avisieren (Zahlen des IZA, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit) ist diese Zielgruppe am stärksten im Fokus. Doch nur rund 5 % der Unternehmen haben passende Maßnahmen für Ältere etabliert. Gleiches gilt für ein weiteres, riesiges Potenzial: ausländische Führungskräfte.

Sprachliche Probleme, Unterschiede in der Arbeits- und Unternehmenskultur werden hier als Hindernis aufgeführt. Vor allem aber auch steuer- und sozialrechtliche Probleme. Letztere greifen übrigens genauso bei deutschen Führungskräften, die im Ausland ganz oder auch nur teilweise leben (wollen) und durchaus gern remote für ein deutsches Call Center arbeiten möchten. Ein Kunde von mir hat diesen Fall prüfen lassen für einen Kandidaten, der perfekt auf eine Führungsposition in Deutschland gepasst hätte, jedoch sein Homeoffice in Barcelona hat. „Obwohl es ein EU-Land ist, aber beim Thema Rentenanspruchsregelung sind wir ausgestiegen.”

Auch sehr spannend, dass es den Begriff „Workation“ im deutschen Arbeitsrecht noch gar nicht gibt. Hoffentlich verpassen wir diesen Zug nicht auch noch.

Ein zweites, großes Feld sehe ich darin, dass Unternehmen und vor allem HR-Abteilungen ihre Denkweise umstellen. Statt Stellenbeschreibungen unbedingt mit Kandidaten zu besetzen, die genau die Anforderung für eine Stelle erfüllen, empfehle ich, Potenziale und Persönlichkeiten einzustellen. Insbesondere in wachsenden oder gar stark wachsenden Unternehmen könnte diese Strategie dafür sorgen, immer genügend Chef-Potenziale zu haben. Und eines kann man mit Sicherheit sagen: Kundenservice, Customer Experience, Call-Center-Dienstleister wachsen gerade enorm und die vollen Auftragsbücher können oft nur mangels Personals und Führungskräften nicht bewältigt werden.

Potenzial- und Persönlichkeits-Rekrutierung bedeutet aber auch, dass Bewerber nicht danach beurteilt werden, ob sie auf eine gerade aktuelle Vakanz passen. Es bedeutet, sich jeden genau anzusehen und zu entscheiden, ob hier ein Potenzial für das Unternehmen vor einem sitzt. Entdeckt man ein solches Potenzial, fehlt es dann aber an Prozessen. Sich ohne „Stellenfreigabe“ als Personalreferent für einen Kandidaten einsetzen? Das kann mühsam werden. Solch ein Prozess erfordert einen völlig neuen Ansatz in den HR-Abteilungen und vor allem eine völlig neue Einbindung von HR in sämtliche Unternehmensbereiche, um überhaupt ein Potenzial, eine Persönlichkeit strategisch positionieren zu können.

Eine Lösung kann hier ein wirklich gut gemanagter Talentpool für Führungskräfte sein. Doch in der Praxis verrohen Talentpools zu Datenbanken mit Datenleichen. Denn gut gemanagt bedeutet aktiv gepflegt! Dazu fehlen oft das Wissen und immer die Zeit. Denn wir müssen ja offene Vakanzen besetzen.

 

AUTOR: Iris Gordelik, GORDELIK Executive Search & Networking

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